„Ein Zirkus voller Frankensteins – das ist ein Verbrechen!“
Der schwedische Leichtathletik-Superstar Carolina Klüft, der nur im Weitsprung startet, über Doping, ihre Heimat und warum sie auf ein sicheres Gold im Siebenkampf verzichtet.
Von Thilo Komma-Pöllath
AZ: Sie sind erst 25 Jahre alt, waren sechs Jahre lang im Siebenkampf unbesiegt und nun der Verzicht auf eine sichere Goldmedaille – weil Sie nur im Weitsprung antreten. Das haben viele nicht verstanden.
CAROLINA KLÜFT: Mit dem Alter hatte meine Entscheidung nichts zu tun. Es geht viel mehr um die Jahre, die ich schon im Sport bin. Ich habe meinen ersten Wettkampf bei den Senioren gewonnen, da war ich 19. Das ist sechs Jahre her. Es geht mir um Motivation und Inspiration. Beides muss 100 Prozent da sein – sonst bin ich nicht bereit, für all die Anstrengungen, die ich täglich über mich ergehen lassen muss. Aber genau das musst du, wenn du im Hochleistungssport erfolgreich sein willst. Du musst alles andere vernachlässigen.
Sie klingen desillusioniert.
Ich bin müde. Physisch und mental. Ich brauchte etwas Neues. Während der letzten Saison habe ich etwas verloren, es war nicht mehr dieselbe Freude da, nicht mehr dieselbe Inspiration. Ich richtete meine Konzentration noch auf Osaka (Leichtathletik-WM 2007; d. Red.), aber danach fühlte ich, dass ich etwas tun musste. Tief in mir drin spürte ich, dass ich etwas in meinem Leben ändern musste: Ich war nicht mehr ehrlich zu mir.
Haben Sie an Rücktritt gedacht?
Das nicht, aber ich entscheide jetzt von Jahr zu Jahr neu. Wenn ich motiviert bin, mache ich weiter, sonst nicht. Ich lebe nur einmal. Und ich werde mein Leben sicher nicht mit Sport verbringen, wenn ich keine Lust mehr dazu habe. So wichtig ist der nicht. Familie, Freunde, die Liebe – das ist viel wichtiger.
Und nach der schwierigen Entscheidung kam das alte Gefühl wieder zurück?
Die Motivation kam sofort zurück. Als ich den Wechsel vollzogen hatte, spürte ich sofort eine totale Inspiration. Ich bin sehr stolz auf mich. Diese Entscheidung hat mich noch stärker gemacht, weil sie beweist: Ich lebe meine Philosophie.
Was haben Sie sich für Peking im Weitsprung als Ziel gesteckt?
Hingehen und in der besten Form aller Zeiten sein. Ich hatte eine klasse Vorbereitung, ein tolles Trainingslager, super Wettkämpfe davor. Ich will hier weiter springen als je zuvor in meinem Leben.
Von der besten Form zum Dopingmissbrauch ist es nur ein kleiner Schritt. Hat Ihnen das Dauerthema der Leichtathletik oft die Lust an Ihrem Sport genommen?
Nein, das kann man eigentlich so nicht sagen. Ich mache Sport nur für mich selbst. Ich arbeite hart und versuche, für einen sauberen Sport zu kämpfen. Ich mache alle Untersuchungen, sie können kommen und mich testen, wann immer sie wollen. Aber natürlich ist es traurig für den Sport, es ist traurig für die Menschen, es ist traurig für die sauberen Athleten, dass Doping eine so große und zentrale Rolle einnimmt in der Leichtathletik. Mein großer Traum ist, dass unser Sport sauber wird. Dass wir eines Tages sagen können: Wir sind dopingfrei! Daran glaube ich fest.
Sie gelten als Musterathletin.
Ich verstehe Sportler nicht, die sich dopen. Für mich ist das so, als würde ich ein Verbrechen begehen. Es ist illegal, aber leider glauben immer noch viel zu viele, es handele sich um ein Kavaliersdelikt. Wahnsinn! Doping ist keine Alternative, die du ziehen kannst, wenn du mal schlecht drauf bist. Wir brauchen sehr schnell und unter allen Umständen einen sauberen Sport, denn was würde denn passieren, wenn sich alle was einwerfen? Ein Zirkus voller Frankensteins! Frauen, die aussehen wie Monster! Sie gefährden ihr eigenes Leben, sie ruinieren ihre Gesundheit. Das ist falsch! Das ist verboten! Es ist ein Verbrechen! Und: Es ist gegen die Regeln. So einfach ist doch der Sport: Beachte die Regeln, und du darfst mitspielen. Mein Gott!
Man spürt Ihre Erregung.
Ich bin sehr wütend.Wir müssen den moralisch schwachen Athleten eine Alternative aufzeigen. Wir müssen zeigen, dass wir komplett anders gestrickt sind. Wir müssen zeigen, dass es sehr wohl möglich ist, sauber zu sein und spitze. Wir müssen zeigen, dass es nicht okay ist, ein Doping-Verbrechen zu begehen. Wir müssen beweisen, dass es möglich ist, der Beste der Welt zu sein, ausschließlich mit harter Arbeit, totaler Hingabe und Ehrlichkeit. Das ist das Licht, das mich führt.
Da kommt wieder die junge Caro aus Växjö durch: freiheitsliebend, selbstbewusst, mit Gerechtigkeitssinn?
Natürlich verändert man sich. Aber ich hoffe, dass ich mein Herz am rechten Fleck behalten habe und mit beiden Beinen fest am Boden bin.
Sie gelten als sehr bodenständig. Sie leben, trotz einer hohen Steuerbelastung nicht in Monaco, wie viele Spitzenathleten, sondern weiter in Schweden. Sie könnten es sich einfacher machen.
Ich muss meiner Familie, meinen Freunden nahe sein. Um meine Batterien aufzuladen, muss ich nach Hause kommen. Ich liebe das Herumreisen, aber gleichzeitig bin ich gerne in meiner Heimat. Natürlich haben wir auch unsere Probleme, aber ich finde es auch vollkommen richtig, dass ich als Schwedin hier meine Steuern bezahle. Damit machen wir aus unserem Land den tollsten Platz auf dieser Welt.