Ein Trip fürs Vaterland
SHANGHAI - Die AZ-Sportreportage:Warum die Formel 1 für die Chinesen eine Frage der Ehre ist
Das Rot stimmt nicht. Zu dunkel ist es, der Stoff außerdem zu grob. Auch um das springende Pferd als solches zu erkennen, braucht es verdammt viel Fantasie. Vor allem, wenn auf dem Parkplatz vom JJ2 in der Yanan-Road im Zentrum Shanghais gleich drei flache Flitzer stehen, auf deren Motorhauben diese springenden Pferde im Original zu sehen sind. Neben den Ferraris stehen noch ein paar Porsches und eine große schwarze S-Klasse.
Aus den Luxus-Autos entsteigen ziemlich junge, ziemlich schmale Chinesen. Die Jungs tragen schwarz schimmernde Anzüge, dazu weiße Muscleshirts. Die Mädchen ziemlich kurze Kleider, aus Wolle zumeist. Darin stecken schmale Beine, bei einigen ist der Saum der halterlosen Strümpfe zu sehen. Empfangen werden die Gäste vor dem Eingang des Luxusclubs von den Parkboys in ihren ziemlich plump gefälschten Ferrari-Jacken.
Drinnen, im Club, wummern die Bässe durch riesige Boxen, die DJs legen harten Elektro auf, der so gar nicht zur restlichen Atmosphäre der Edel-Party passt. Ein paar Mädchen versuchen auf der engen Tanzfläche etwas unbeholfen dem Rhythmus der Musik zu folgen. Im JJ 2 feiern die jungen Reichen Shanghais. Diejenigen, die für einen einfachen Wodkalemon 75 Yuan ausgeben können, umgerechnet etwas über neun Euro. Diejenigen, die reich geworden sind im eigentlich ja immer noch sozialistischen China. Oder eben deren Eltern. Diejenigen, die sagen können, dass es „für China sehr wichtig" sei, dass dieser gigantische Formel-1-Zirkus jetzt hier Station mache. „So können wir der Welt zeigen, was wir können.“
Diejenigen wie Carol, die in Frankfurt mal ein paar Semester Kunstgeschichte studiert hat und jetzt in Shanghai als Galeristin ihr Geld verdient - und diesen Samstag bei einem Red-Bull-Event dolmetschen wird.
Im JJ 2 feiern die Leute, die sich einen Besuch bei der Formel 1 in China leisten können. 400 Euro kostet das Wochenend-Ticket - etwas weniger als ein Drittel des durchschnittlichen Jahresverdienstes eines Chinesen.
Um die Tribünen vollzukriegen, werden am Sonntag wieder massenhaft Busse aus dem Landesinneren in die 18-Millionen-Metropole rollen. Voll von verdienten Parteimitgliedern, denen das Vaterland mal eben den Trip zur Formel 1 schenkt. 200 000 Zuschauer haben auf den Rängen des Shanghai Street Circuit Platz - so viele wie sonst nirgends in der Formel 1.
Die Formel 1 ist für China eine Frage der Ehre, genauso wie es die olympischen Spiele in Peking waren. Und natürlich ist auch der jährliche Besuch der Formel 1 in Shanghai perfekt und akribisch durchorganisiert. Die Shuttle-Busse fahren pünktlich, und Hundertscharen an uniformierten Helfern, die natürlich bestens Englisch können, zeigen einem den Weg zu den einzigen zwei Aufzügen im Fahrerlager. Auch am zweiten Tag noch. Und dass im Medienzentrum gerne mal die Verbindung zu den persönlichen Email-Programmen abstürzt, liegt wahrscheinlich auch eher nicht an technischen Störungen. Anders als bei den Olympischen Sommerspielen in Peking gilt hier nämlich noch weniger als „größtmögliche" Pressefreiheit. Immer wieder werden Computer von irgendwelchen Servern angezapft, die internationalen Journalisten mussten unterschreiben, dass sie während ihres Aufenthaltes in Shanghai nur über das Rennen berichten würden.
Ansonsten ist das Pressezentrum so gigantomanisch wie die gesamte Anlage. 400 Millionen Euro kostete der Bau der 2,5 Quadratkilometer großen Anlage in einem ehemaligen Sumpfgebiet. Mehr als zwei Millionen Kubikmeter Erde musste angekarrt werden, um die Strecke, die auf 40 000 Betonpfählen steht, aufzubauen. Um den Sumpf trockenzulegen, kaufte der Aachener Streckenarchitekt Hermann Tilke einst den gesamten Weltmarktvorrat an Styropor auf. Entstanden ist eine fahrerisch anspruchsvolle Strecke und ein Fahrerlager, dessen Hauptsstraße so breit ist, dass man eine Militärparade darauf abhalten könnte.
„Die Formel 1 hat Pionierarbeit geleistet in Shanghai", meint Carol, die dolmetschende Galeristin aus dem JJ2. Sie habe der Stadt gezeigt, dass sie wirklich eine „Stadt von Weltrang" sei. Und das möchte man noch mehr Leuten zeigen: 2010 wird in Shanghai die Expo stattfinden. Erwartet werden nicht weniger als 65 Millionen Gäste.
Filippo Cataldo