Ein paar Zentimeter Salbe

Es ist der erste Dopingfall eines Deutschen in Peking: Christian Ahlmanns Springpferd Cöster wurde positiv getestet. Der Vorsitzende des Springsausschusses sagt: „Das ist der Super-GAU für uns!“
HONGKONG Vier Jahre haben den deutschen Springreitern wohl nicht gereicht, um klüger, ehrlicher, fairer zu werden. Denn Deutschland hat seinen ersten Dopingfall zu beklagen und wieder – wie 2004 in Athen – damals war es Ludger Beerbaum –, sind es die Springreiter, die für dieses unrühmliche Debüt sorgten. Bei Cöster, dem Pferd von Christian Ahlmann, wurde das Dopingmittel Capsaicin festgestellt. Der 33-Jährige wurde von den Spielen ausgeschlossen. Sagen wollte Ahlmann, der die Flucht in die Heimat antrat, dazu nichts. Dafür fanden andere deutliche Worte. „Ich schwanke zwischen totalem Unverständnis und Wut“, sagte Hanfried Haring, Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Noch drastischer formulierte es Peter Hofmann, der Vorsitzende des Springausschusses: „Das ist der Super-GAU. Da muss man sich Gedanken machen, ob unser Sport eine Chance hat, weiter zur olympischen Familie zu gehören.“
Weil es eben nicht der erste Dopingfall ist. 2004 hatte man bei Beerbaums Pferd Goldfever Betamethason nachgewiesen, was dazu führte, dass der deutschen Mannschaft, unter ihnen Ahlmann, Gold aberkannt wurde. Damals sagte Ahlmann: „Das war vollkommen übertrieben.“
„Wegen 2004 haben wir die Reiter mehrfach auf die Umstände hingewiesen. Die Pferde wurden vor der Abreise getestet, dann hier noch mal. Die Befunde waren negativ. Die Reiter mussten alle Medikamente mit unserem Arzt absprechen. Und sie mussten unterschreiben, dass sie über alles informiert wurden. Jeder wusste, was die Stunde geschlagen hat“, sagte Delegations-Leiter Reinhardt Wendt.
Capsaicin ist ein äußerst perfides Mittel. „Dadurch wird beim Pferd die Haut gereizt und so der Berührungsschmerz erhöht. Das Mittel setzt man im Training ein, um das Pferd durch die erhöhte Schmerzempfindlichkeit dazu zu bringen, noch höher, zu springen, damit es eben nicht anschlägt und große Schmerzen hat“, sagt Dr. Karl Blobel, der über 20 Jahre die deutschen Olympiareiter betreute. „Das ist eine sehr hinterhältige Art des Dopings. Und eine hochgradige Dummheit.“
Die hochgradige Dummheit hat auch Tony Andre Hansen (Norwegen), den Iren Denis Lynch und den Brasilianer Bernardo Alves erfasst – bei allen wurdeCapsaicin nachgewiesen. „jetzt haben wir unser EPO-Problem. Vier Fälle, das spricht für systematisches Doping“, sagt Haring.
Bisher war Capsaicin kaum nachweisbar, jetzt gibt’s einen neuen Test. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Christian so dumm ist“, sagte Dressur-Olympiasiegerin Ulla Salzgeber der AZ. Die Tatsache, dass dasselbe Mittel bei vier Reitern gefunden wurde, führt bei Doping-Experte Dr. Helmut Pabst zu Stirnrunzeln. „Da es im Pferdesport die Nulllösung gibt, reichen schon ein paar Zentimeter der Salbe, damit das Mittel nachweisbar“, sagt Pabst der AZ: „In Hongkong gibt es eine große Wettmafia, die auf Pferde setzt. Auch so könnte man Konkurrenten ausschalten. Es ist zwar nicht der erste Gedanke, der aufkommt, aber vielleicht der dritte. Aber wahrscheinlicher ist, dass es sich um klassische Doping handelt.“
Leider wieder der deutschen Reiter.
Matthias Kerber