„Ein krankes System“
Kanu-Trainer Josef Capousek, der 27 Jahre lang die deutsche Nationalmannschaft trainierte, wurde in China entlassen – weil er der kommunistischen Führung zu kritisch war.
Von Florian Kinast
AZ: Herr Capousek, nach Ihrem Rausschmiss als Cheftrainer von Chinas Kanuten waren Sie erst so verbittert, dass Sie sagten, sie wollten von den Olympischen Spielen gar nichts mehr wissen. Schauen Sie bei den Wettkämpfen auf der Regattastrecke überhaupt zu?
JOSEF CAPOUSEK: Ja, natürlich. Daheim in Deutschland am Fernseher. Ich wollte einfach nur nicht nach China zurückkehren. Ich habe das ja lang genug gesehen hier. Das alles war einfach eine riesige Enttäuschung für mich.
Gab es denn Gründe für Ihren Rausschmiss?
Ach, das hat sich doch schon angedeutet, seit Januar, Februar. Ich hatte mich die ganze Zeit mit einer Trainerin angelegt, die von der Armee kam. Und wenn man sich mit jemandem von der Armee anlegt, dann wird es gefährlich. Mein Problem war, dass ich einfach meine Meinung gesagt habe. Und das hat denen nicht gepasst. Man hat mich schon dauernd gewarnt, ich solle aufpassen, was ich sage, auch gegenüber Journalisten. Aber ich habe halt weiter meinen Mund aufgemacht. Nur deswegen haben sie mich rausgeworfen. Das kam von ganz oben, vom Sportministerium.
Sie waren Ihnen also zu kritisch.
Ja. Ums Fachliche ging es nicht. Ich habe einfach nur professionell gedacht. Ich war 27 Jahre lang Cheftrainer der deutschen Mannschaft, dieses Wissen, diese Erfahrung wollte ich da auch mit einbringen. Aber die wollten mich nicht hören. Ich war mit meinem ganzen Herzen dabei, ich habe versucht den Sportlern zu erklären, warum sie etwas tun sollen, wie sie es tun. Ich wollte, dass sie sich mit ihrem Sport auseinandersetzen, dass sie reflektieren auf ihre Arbeit. Und sich selbst und auch mich kritisieren.
Sie wollten also die Meinung der Sportler hören.
Ja, denn nur so kommt man doch weiter. Wenn man zusammenarbeitet und ein Team ist. Wenn ich kein Feedback bekomme von meinen Sportlern, dann kann ich doch auch nichts ändern. Die sollen mir ruhig sagen, wenn ihnen was nicht passt. Ich muss mich doch auch als Trainer immer hinterfragen, und das kann ich nur, wenn ich erfahre, wie es meinen Sportlern geht.
Dann waren Sie für junge chinesische Sportler sicher eine ganz neue Erfahrung.
Ja, natürlich, so was wie mich kannten die nicht. Die meisten waren überfordert mit mir. Wenn einer 20 Jahre auf eine Sportschule geht, in einem System, wo nur der Drill zählt, wo du als Sportler nur Befehlsempfänger bist, was will man da erwarten? Mündige Athleten haben die hier nicht, das ist ein krankes System.
Glauben Sie, die Sportler haben von der Erfahrung mit Ihnen profitiert?
Ich hoffe es sehr. Aber jetzt haben sie wieder einen chinesischen Trainer, da weht wieder der alte Wind. Die Meinung eines Sportlers interessiert nicht, es interessiert nur das Gold für den Medaillenspiegel. Und außerdem, wenn sie Gold geholt hätten, dann hätte man sie gefeiert, nicht mich. Mich hätte man zur Rechenschaft gezogen, wenn sie versagt hätten.
Waren Sie zu idealistisch, als sie 2005 in China anfingen?
Schwer zu sagen, zumindest hatte ich es mir anders vorgestellt. Meine Ex-Frau hatte mich schon damals gewarnt, sie hatte mir gesagt: „Bist Du eigentlich bekloppt, wieder in so ein System rüberzugehen?“ Es hatte schon seinen Grund, warum ich 1968 aus der CSSR nach Deutschland gekommen war, weil ich mit dem System da drüben nicht mehr klar kam.
Sind die Systeme zu vergleichen, Osteuropa damals und China heute?
Nein. Was den Sport angeht, ist es hier schlimmer als damals im Ostblock. In der DDR, der Sowjetunion, der Tschechei, da war der Sportler in der Hierarchie nie so weit unten wie hier. In den siebziger, achtziger Jahren, da haben die Athleten sich sehr wohl äußern dürfen. Hier herrscht eine andere Erziehung. Hier ist keine Bewegungsfreiheit, vor allem nicht im Kopf. Die Sportler haben nie gelernt, Entscheidungen treffen zu müssen. Ich hatte das einfach alles unterschätzt.
Was nehmen Sie mit aus den dreieinhalb Jahren?
Eine gewaltige Erfahrung. Auf der einen Seite war das ein fürchterlicher Stress. Als ich nach Deutschland zurückkam, war ich völlig ausgelutscht und ausgezehrt. Aber ich bin um eine große Erfahrung reicher. Verstehen Sie mich nicht falsch, diese Zeit war eine große Bereicherung für mein Leben. Ich bin durch das ganze Land gereist und habe fantastische Menschen kennengelernt. Ich war in Tibet, ich war im Norden an der russischen Grenze und im Süden an der vietnamesischen. Diese Erfahrungen möchte ich nicht missen. Es geht mir auch nicht gegen das Land und seine Menschen. Es geht gegen das Sportsystem.
Und wie geht es jetzt mit Ihnen weiter?
Das weiß ich nicht. Ich habe bereits einige Anfragen, aber wohin mich mein Weg führt, kann ich noch nicht sagen. Wissen Sie, was das Absurde und völlig Idiotische ist?
Sagen Sie es.
Ich habe bereits wieder zwei Angebote aus China.
Bitte?
Aus zwei Provinzen. Nächstes Jahr sind nämlich die großen Nationalmeisterschaften, wo die Provinzen alle gegeneinander antreten.
Und? Gehen Sie hin?
Nein. Da müsste schon viel passieren. Aber etwas steht für mich fest. Nach dieser Erfahrung werde ich über meine neue Arbeit erst einmal sehr sehr gründlich nachdenken.
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