"Ein Buch, das sich schließt"

Die Fans in New York feiern Routinier Haas trotz des Aus mit „Tommy”-Sprechchören. Doch vieles deutet nun darauf hin, dass der 33-Jährige demnächst seine Karriere beendet.
von  Abendzeitung

Die Fans in New York feiern Routinier Haas trotz des Aus mit „Tommy”-Sprechchören. Doch vieles deutet nun darauf hin, dass der 33-Jährige demnächst seine Karriere beendet

NEW YORK Als er den legendären Grandstand-Platz verließ, in der hereinbrechenden Abenddämmerung, da wurde er noch einmal gefeiert wie in seinen besten Zeiten. Wie in jenen Jahren, in denen er, Tommy Haas, zu den Meistern des US Open-Dramas gehörte, die sie hier an diesem verrückten Grand-Slam-Ort so lieben.


Vor 15 Jahren hatte Haas auf dem Traditionscourt sein allererstes US-Open-Match gegen Michael Stich bestritten und verloren. Wenn nicht alles täuscht, dann haben ihm die New Yorker an diesem 3. September 2011 einen rauschenden Abgang nach dem wohl letzten Auftritt im „Big Apple” beschert, zuguterletzt sogar noch mit „Tommy, Tommy”-Sprechchören.


Der 33-Jährige wird zwar vorläufig bis zum Ende der Saison weitermachen, aber ob er im nächsten Jahr noch einmal zurückkehrt auf die Tour und damit auch nach New York, ist fraglich. „Es war ein schöner Moment, noch einmal die Anerkennung des Publikums gespürt zu haben, diese Dankbarkeit”, sagte Haas – und fügte hinzu: „Sollten das meine letzten US Open gewesen sein, ist es ein Buch, das sich schließt. Dort, wo einmal alles angefangen hat.”


Die Vier-Satz-Niederlage gegen Juan Monaco aus Argentinien (7:6, 3:6, 2:6, 3:6) hatte Haas noch einmal eindringlich die Tatsache vor Augen geführt, dass das vierte größere Comeback in seiner Karriere, dieses Mal nach einer Hüftoperation, das mit Abstand schwierigste ist. Und trotz eines Aufschwungs in New York vielleicht auch das hoffnungsloseste sein wird. Die jüngste Rückkehr von Haas fällt genau in eine Zeit, in der sich die physischen Anforderungen auf dem Spitzenlevel noch einmal extrem beschleunigt haben. „Die Anforderungen sind brutal hoch”, weiß Haas. Da müsse er sich schon in einer ruhigen Stunde selbst fragen: „Kannst du da noch einmal aufschließen? Und kannst du alles auch mental verkraften?”


Seit Haas im Frühjahr wieder die ersten Spiele auf der Tour bestritten hatte, wurde man nie den Verdacht los, als handele es sich bei allem Ehrgeiz auch um eine Abschiedstournee. Viele Glücksmomente hatte Haas nicht, zwei Siege nur feierte er bis zum Start der US Open. Aber war nicht vielleicht der Weg das Ziel, also die letztmalige Präsenz auf den großen Bühnen?


Als Haas nach seinem Ausscheiden über seine Optionen für die nächsten Monate sprach, schimmerten Zweifel durch. Er könne nicht nächstes Jahr einfach so zu den Australian Open 2012 hinfahren und eine neue Saison eröffnen, sagte er etwa, „dazu gehört eine harte, harte Vorbereitungszeit. Eine Menge Planung, viele Leute, die ihren Teil dazusteuern”. Später wies er darauf hin, sich schon mit der eigentlichen Rückkehr in den Tennisbetrieb verschätzt zu haben: „Ich dachte, das dauert sechs bis neun Monate, dann waren es fünfzehn.”


Wofür noch einmal die Schinderei und Plackerei? Für eine zweite oder dritte Turnierrunde bei einem Grand Slam? Sicher: Haas kann auch gegen bestimmte Gegner weiter die Dinge diktieren – aber gegen die großen Jungs steht er nach all dem Verletzungsschlamassel wohl doch auf verlorenem Posten. „Er hat eine schwere Position, nach all dem, was er durchmachen musste”, sagte Roger Federer, der alte und gute Freund von Haas – über Haas. Gern hätte Federer im Achtelfinale gegen Haas gespielt, aber die Realität war eine andere: Monaco zwang Haas in einen physischen Zermürbungskampf, den er an diesem Tag nicht gewinnen konnte.


Haas sagte, er denke bei seiner Entscheidung übers Weitermachen oder Aufhören auch an seine junge Familie, die er nicht mehr gern „ein paar Wochen” allein lasse. Vielleicht ist es die Aussicht auf mehr gemeinsame Zeit mit Frau Sarah und Tochter Valentina, die ihm am Ende alles leichter machen. Und die Erkenntnis reifen lassen, dass nun ein anderer Abschnitt des Lebens beginnen sollte.

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