Ein Airbag für die Stars auf der Piste

Endlich gibt es eine Reaktion auf die schlimmen Unfälle von Grugger, Albrecht & Co.: Ein Schutz, im Motorradsport erprobt, sorgt dafür, dass der Aufprall beim Sturz gimpflichere Folgen hat.
MÜNCHEN Hätte es diese 800 Gramm Hightech schon vor ein paar Jahren gegeben, würde der Österreicher Hans Grugger nun bei Olympia wohl um Abfahrts-Gold mitfahren, und der Schweizer Daniel Albrecht wäre sicher ein Kandidat für den Sieg im Gesamt-Weltcup. Doch nach schlimmen Stürzen auf der Streif (Albrecht 2009, Grugger 2011) mit Schädel-Hirn-Traumata, Not-OP und vielen Monaten Intensivstation mussten beide ihre Karriere beenden – die 800 Gramm leichte Innovation kommt für sie zu spät. Die Rede ist vom D-AIR®SKI, dem Airbag für Skifahrer.
Bevor sich die Downhiller am Wochenende in Kitz wieder in Mausefalle und Hausbergkante stürzen, präsentiert der Weltskiverband FIS am Donnerstag mit dem italienischen Protektoren-Hersteller Dainese eine Technologie, die für die Anforderungen des Abfahrtslaufs entwickelt wurde; ein Schutzsystem, das innerhalb von 100 Millisekunden auslöst und 61 Prozent der durch den Aufprall erzeugten Kraft absorbieren kann. Günter Hujara, als FIS-Renndirektor der Männer-Wettbewerbe auch für die Sicherheit der Fahrer zuständig: „Der Moment ist gekommen, um der Welt etwas vorzustellen, das in der Skiwettrennwelt angewendet werden kann.“
Die AZ zeigt den Airbag für die Skistars vorab. Seit drei Jahren habe man mit Dainese ein ähnliches Airbag-System entwickelt wie es seit 2009 im Motorrad-Weltcup zum Einsatz kommt und das in der Street-Version nun für jedermann zu kaufen ist. „Ich hatte einige positive Feedbacks aus der Motorrad-Racing-Welt vorliegen“, sagt Hujara: „Das Schwierigste war, den Algorithmus zu definieren, den exakten Moment zu finden, in dem der Athlet keine Kontrolle mehr hat.“ Kein einfaches Unterfangen, werden die Abfahrer bei Geschwindigkeiten von zum Teil über 150 km/h derart wild durchgeschüttelt, dass fast jeder Sprung einem Beinahe-Sturz gleichkommt.
Was also tun? Hujara erklärt: „Wir haben ein Datenerfassungssystem installiert und am Ende haben wir verstanden, was während eines Skirennens genau geschieht.“ Vittorio Caffagi, der technische Leiter bei Dainese, erklärt: „Der Algorithmus aktiviert das System in all den Fällen, in denen der Körper des Athleten unnormale Drehungen gegenüber der normalen Wettrenndynamik ausführt, wie zum Beispiel eine vordere, hintere oder seitliche Drehung während eines Sprungs.“ Der Algorithmus verstehe jetzt, wann der Athlet springt und vermeide somit, dass der Landeaufprall als eine Unfallsituation interpretiert wird. Diese Fähigkeit, einen Sturz vom normalen Fahrstil zu unterscheiden, werde ständig verfeinert, so Cafaggi.
Hat der Computer im Nacken des Athleten die Entscheidung zum Auslösen getroffen, stellen sich die nächsten Fragen: Welche Körperteile sollen geschützt werden und wie wird das Luftkissen aufgeblasen? Vom Airbag bedeckt werden Brustkorb, Schultern, Schlüsselbeine und Halswirbel. Das acht Liter fassende und fünf Zentimeter dicke Luftkissen wird pneumatisch mit der sogenannten „kalten“ Technologie aufgeblasen statt mit dem brüsken Erwärmen auf 800 Grad. Bleibt noch die Aerodynamik, die im Ferrari-Windkanal von Maranello getestet wurde. Der Airbag ist in einem Korsett aus elastischem Gewebe integriert und wird über dem Rückenprotektor, unter dem Ski-Anzug getragen.
Das Ein- und Ausschalten erfolgt durch den automatischen Knopf, der sich vorne am Reißverschluss befindet. Renndirektor Hujara, der den Trainern die neue Technologie Mitte Dezember vorgestellt hatte, fasst zusammen: „Das System scheint fast einsatzbereit zu sein.“ Auch die Rennfahrer, die an den Testfahrten teilnahmen, klingen optimistisch: „Der Airbag ist wirklich unglaublich“, sagte Manuel Osborne-Paradis, „man merkt gar nicht, dass man das trägt.“ Aus dem Satz des Südtirolers Werner Heel klingt Dankbarkeit: „Das ist ein großer Schritt nach vorn, was die Sicherheit angeht.“