Reimer: "Das ist wie beim FC Bayern"
AZ: Herr Reimer, der EHC Red Bull München hat in acht Testspielen unglaubliche 36 Tore kassiert. Was sagen Sie als EHC-Torhüter dazu? Herrscht hier Schießbudengefahr?
JOCHEN REIMER: 36 Tore, das sieht auf den allerersten Blick ganz und gar nicht gut aus – und auf den zweiten auch noch immer nicht gut. Damit ist bei uns keiner zufrieden. Wir müssen uns da verbessern. Ich war da als Keeper auch nicht immer in einer beneidenswerten Rolle. Aber es gibt Gründe.
Dann klären Sie uns auf!
Wir haben extrem hart trainiert und sind mit sehr schweren Beinen in manche Spiele gegangen. Dazu hat der Verein 20 neue Spieler geholt, die alle ein vollkommen neues System lernen. Ein System, das auch nicht ganz einfach ist. Man sieht ja auch beim FC Bayern mit Pep Guardiola, dass es eine gewisse Zeit braucht, bis die Spieler ein System verinnerlichen. Und Guardiola hat dabei noch den Vorteil, dass er eine eingespielte Truppe übernommen hat. Aber es lief am Schluss bei uns schon besser. Da hat uns zwar gegen Lausanne die Krankheit des letzten Jahres erwischt.
Notorische Ladehemmung.
Genau, aber hinten war es bei dem 0:1 ganz okay.
Erklären Sie doch bitte mal das System, das sich ja fundamental von Pat Cortinas Spielweise unterscheidet. Der hat ja eher Beton angerührt.
Unser neuer Trainer Pierre Pagé setzt auf offensives, aggressives Eishockey. Von den fünf Feldspielern attackieren vier nach vorne, also auch einer der Verteidiger. Das gab es bei Cortina ja gar nicht. Das erfordert viel Verständnis, viel Laufarbeit. Dass da während des Lernprozesses auch mal die eine oder andere Lücke entsteht, ist klar.
Insgesamt dürften Sie sich Freude: Der EHC hat große, kräftige Verteidiger verpflichtet, die die Gegner vor dem Tor wegräumen sollten.
Ja, zuletzt sind wir ja doch immer ein bisschen rumgeschubst worden. Wenn jetzt ein Smaby oder ein Andy Wozniewski mit ihren fast zwei Metern da vor einem stehen, dann hat man schon ein anderes Gefühl, so gut auch unser Verteidiger früher waren. Wer bei uns punkten will, wer gegen uns Tore erzielen will, der muss sich das sicher hart erkämpfen.
Stichwort hart: Der EHC hat auch eine gute Ansammlung von Raubeinen im Kader.
Mei, der Danny Bois ist sicher einer, der sich für sein Team aufopfert. Wo immer auf dem Eis einem von uns etwas passiert, wird er dazwischen gehen. Und wenn dann auch noch Sean O’Connor fit ist und die beiden auf dem Eis sind, dann wird sich der Gegner nicht viel trauen, dann wird es sehr ruhig zugehen.
Auch in diesem Jahr haben Sie die WM wieder verletzungsbedingt verpasst, wie sehr schmerzt das noch?
Es ist sehr bitter, dass ich jetzt zwei Mal in Folge verletzungsbedingt nicht dabei war. Ich war in den Vorbereitungsspielen super drauf und dann fällt mir beim Test gegen Weißrussland ein großer, dicker Weißrusse so über die Knie, dass in beiden Beinen die Bänder überdehnt waren.
Außerdem mussten Sie sich im Juni einer Stimmbandoperation unterziehen.
Ja, mir wurden Knoten entfernt, die dazu geführt hatten, dass ich kaum noch reden konnte. Die Operation ist gut verlaufen, das Schwierigste war echt, dass ich fünf Tage kein Wort reden durfte. Ich bin eigentlich keiner, der dauernd rumplappert, daher dachte ich, das wäre nicht so schwer. Denkste! Mir ist etwa genau da auf der Autobahn der Wagen liegengeblieben und ich musste den ADAC anrufen. Das tat ziemlich weh.
Jetzt ist alles überstanden?
Naja, der operierende Arzt hat schon gesagt: Wir haben uns nicht zum letzten Mal gesehen. Die Gefahr, dass die Wucherungen nachwachsen, ist enorm groß. Ich werde das wohl mein Leben lang haben und regelmäßig behandeln lassen müssen. Aber immerhin spricht mich jetzt keiner mehr an, ob ich die Nacht durchgesoffen hätte, weil meine Stimme so fertig klingt.