Pagé und die Vogel-Falle

Pierre Pagé will noch immer zum Mond fliegen, doch weil beim EHC Red Bull München die Spieler nicht mitziehen, bemüht der Coach nun Vergleiche mit fliegenden Tieren.
AZ: Herr Page, der EHC Red Bull München ist den Erwartungen und Vorschlusslorbeeren, die Sie selber geschürt haben, noch nicht gerecht geworden. Sie sprachen sogar von der größten Herausforderung Ihrer Trainerkarriere.
PIERRE PAGÉ: Das stimmt. Als Sean Simpson 1999 als Trainer der Barons nach München kam, da siegte er und siegte er und holte die Meisterschaft. Aber es wurde nichts anders gemacht. Ein paar Jahre später war das Projekt beendet. Kennen Sie George St. Pierre?
Den Extremkämpfer? Den Superstar des Mixed Martial Arts?
Genau den. Er hat sich bewusst entschieden, alles anders zu machen, um der Beste zu werden. Er hat dafür alles gegeben, alles geopfert. Er hat in Jugendhotels mit Drogenjunkies und Alkoholikern gewohnt, weil er das Geld brauchte, um sich die besten Trainer zu holen.
Ihre Herausforderung dürfte auch sein, die Spieler wieder zu beruhigen. Sie machen ja keinen Hehl daraus, dass die Spieler auf Sie wütend waren und Sie auf die Spieler.
Als ich meinen Master in Sport gemacht habe, war das interessanteste Fach, das ich belegt habe, "zwischenmenschliche Beziehungen". Da habe ich gelernt, dass alle Gruppenorganisationen – sei es im privaten, wirtschaftlichen oder sportlichen Bereich – nach der Einstiegs- und Findungsperiode drei Phasen durchlaufen müssen. Storming, norming, performing. In der Sturm- und Drangphase kommt es häufig zu Unstimmigkeiten, es kracht. Ganz viele Beziehungen scheitern hier. Darauf folgt, das sich Kennenlernen, das sich Verstehen, das Arrangieren. Sehr selten gehen beide 50 Prozent aufeinander zu. Oft muss einer 80 Prozent des Weges zurücklegen. Erst nach diesen beiden Perioden kommt man in die echte Leistungsphase, arbeitet man gut zusammen, kann konstant Leistung bringen.
Dann sind Sie aber noch in der Storming-Phase.
Es gibt viele Menschen, die vor den Konflikten im Storming zurückschrecken, da gehöre ich nicht dazu. Die besten Trainer, die ich hatte, waren nicht immer die nettesten. Wir alle würden gerne einen kleinen Vogel in der Hand halten können – und die perfekte Balance haben. Wenn man ihn zu fest hält, zerdrückt man ihn, hält man ihn zu locker, fliegt er weg.
Wie gehen Sie damit um, dass Sie beim Team unbeliebt sind? Wie sehr belastet das den Menschen Pierre Pagé?
Ich sehe das so: Ich bin nicht, was andere Menschen von mir halten. Ich bin noch nicht einmal, was ich selbst von mir halte. Ich habe hier eine unglaubliche Chance, ich darf anders sein. Mich interessiert es nicht, alles so zu tun, wie es schon immer getan wurde.
Woher nehmen Sie eigentlich die Überzeugung, dass Ihr Weg, der so vollkommen anders ist, richtig und nicht etwa ein Irrweg ist?
Ich habe viel Erfahrung. Wenn man etwas pflanzt, dann muss man als Erstes den Boden pflügen, also die Erde aufwühlen und zerstören. Du brichst erst die Verkrustungen auf, dann pflanzt du den Samen und dann entsteht irgendwann das Wunder des neuen Lebens. Nehmen Sie den Bambusbaum. Der Samen ist fünf Jahre in der Erde und fünf Jahre passiert nichts, aber dann schießt er heraus.
Es gibt aber einige Spieler, die Zweifel haben.
Nun, wenn man zum Mond fliegen will, wird es immer Menschen geben, die fragen: "Was soll das? Wozu? Wir wollen auf der Erde bleiben." Man behält die, die mitgehen, und trennt sich von den anderen. Aber das ist eigentlich nicht mein Weg. Der schwierigere, aber auch erfolgreichere, ist mit dem, was man hat, neue Wege zu beschreiten.
Sie holten zuletzt einen Psychologen und einen Co-Trainer ins Team. Haben Sie selber die Mannschaft nicht mehr erreicht?
Wie heißt es so schön: Wenn drei Leute in einem Raum und alle einer Meinung sind, dann sind mindestens zwei Personen überflüssig. Ich höre mir alles an. Aber die letzte Entscheidung treffe ich. Ich habe sicher auch Fehler gemacht in meinem Leben, aber ich habe mehr richtig gemacht als falsch.