Effe: Ich kann Schweini verstehen

„So eine Reaktion ist menschlich“, sagt Effenberg, einst selbst wegen des Stinkefingers geächtet. Im AZ-Interview attackiert er Bundestrainer Löw – und rät dem Bayern-Star, über einen Vereinswechsel nachzudenken.
von  Abendzeitung

„So eine Reaktion ist menschlich“, sagt Effenberg, einst selbst wegen des Stinkefingers geächtet. Im AZ-Interview attackiert er Bundestrainer Löw – und rät dem Bayern-Star, über einen Vereinswechsel nachzudenken.

AZ: Herr Effenberg, es war nicht der Stinkefinger wie bei Ihnen 1994 in den USA. Bastian Schweinsteiger hat nach seiner Roten Karte beim 1:2 gegen Kroatien Richtung Spielerbank des Gegners den Vogel gezeigt. Von Bundestrainer Joachim Löw wurde er dafür gescholten.

STEFAN EFFENBERG: Zunächst muss ich sagen, dass die Rote Karte ja nicht wegen eines schlimmen Fouls oder einer Tätlichkeit gegeben wurde, das war ein Schubser – mein Gott! Aber der Schiedsrichter konnte eben nicht anders. Was danach passiert ist, hat einfach mit Frust zu tun. Wenn überhaupt, muss man Bastian einen ganz anderen Vorwurf machen kann.

Welchen denn?

Er darf eins nicht machen: Nicht genau vor den Augen des Linienrichters, da hätte er sich im Griff haben müssen. Dann dreh’ ich mich weg und kauf’ mir den Übeltäter ein paar Momente später, wenn der Ball weg ist – nicht bösartig, aber um zu sagen: Freundchen, so nicht! Das muss er lernen. Aber natürlich hat er überreagiert.

Und als er in die Kabine lief der kroatischen Bank den Vogel gezeigt.

Das sind Emotionen! Der Junge ist doch in dem Moment voller Adrenalin, das muss man doch nachvollziehen können. Ich kann Bastian verstehen – so eine Reaktion ist menschlich. Da hatte sich bei ihm über Wochen etwas aufgestaut, für ihn ist Stück für Stück der ganze EM-Traum zerbrochen.

Was meinen Sie konkret?

Er ist doch mit ganz anderen Erwartungen in diese EM gegangen. Er und auch ich, wie viele andere, sind davon ausgegangen, dass er Stammspieler ist. Bastian bringt alle Voraussetzungen mit, hat 50 Länderspiele gemacht, ist Stammspieler bei Bayern, bei einem der größten Klubs in Europa. So – und dann wird ihm im ersten Spiel der Fritz vorgezogen. Das konnte ich schon nicht nachvollziehen. Gegen Kroatien aber kam dann die Krönung.

Sie spielen wohl auf die Einwechslung von David Odonkor an.

Ja. Es läuft nicht in der Offensive, die Mannschaft liegt 0:1 hinten und dann bringt Löw den Odonkor statt Schweinsteiger. Bei aller Liebe, aber das kann ich gar nicht begreifen. Wenn einer wie Odonkor nur von seiner Schnelligkeit lebt und irgendwann mal bei der WM 2006 eine gute Flanke geschlagen hat, dann sagt das alles über den Stellenwert der Nationalelf aus. Das soll reichen, um deutscher Nationalspieler zu sein? Man muss doch auch spielerische Qualitäten haben.

Wie Schweinsteiger.

Eben. Und wenn Löw so wechselt, schwächt er die eigene Mannschaft. Bei mir war das 1994 unter Berti Vogts auch so.

Wie meinen sie das?

Manche Spieler wurden nicht auf der Position aufgestellt, auf der sie am besten waren. Ich musste damals als rechter Verteidiger ran – da habe ich mir gesagt: Was soll das denn? Bin ich im falschen Film? Ich war auch wütend, sauer – und bald darauf bin ich ja auch nach Hause gereist. Als Trainer nimmst du Spielern ihre Qualität, wenn du sie auf einer anderen Position einsetzt.

Bei Bayern muss Schweinsteiger auch immer auf der rechten oder linken Außenbahn spielen – obwohl er betont, dass die Zehnerposition, die Spielmacherrolle seine Lieblingsposition ist. Dazu kam, dass ihm Franck Ribéry vor die Nase gesetzt wurde.

Bastian hat überragende Qualitäten, aber er muss mehr ins Spiel miteinbezogen werden, er hat auf den Außen zu wenige Ballkontakte. Da bist du nicht im Spiel, hast keinen Rhythmus. Daher gebe ich ihm einen Tipp: Er soll sich gut überlegen, ob er das Angebot der Bayern annimmt und für drei oder vier Jahre verlängert. Seine Zukunft steht auf dem Spiel. Wenn er nicht dort spielen kann, wo er möchte, wo er am stärksten ist, muss er die Konsequenzen ziehen und gehen. Er sollte sich das jetzt unter Klinsmann erst mal anschauen und abwarten. Sonst verlängert er und sie stellen ihn wieder auf links – nach dem Motto: Mit dem Schweini kann man’s ja machen, er ist ja ein Bayern-Junge.

Auch in der Nationalelf ist die Tür für ihn zu, in der Mitte spielen dort Ballack und Frings.

Ja, aber ist es denn unverrückbar, dass beide dort im Zentrum spielen? Seit Ballack defensiver spielt, sind sich die beiden in ihrer Spielweise zu ähnlich. Ballack kommt kaum noch in den gegnerischen Strafraum, kann seine Kopfballstärke kaum ausspielen. Man bräuchte mehr Power und Zug nach vorne aus der Mitte.

Von Patrick Strasser

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