Dreck, Dornen, Demut und Privilegien

Der Abenteurer Stefan Glowacz spricht über unbestiegene Wände, seinen Kinofilm und die Angst vor dem Tod.
Jasmin Menrad |
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Stefan Glowacz - über dem Abgrund.
Klaus Fengler/ Red Bull Photofiles Stefan Glowacz - über dem Abgrund.

Der Abenteurer Stefan Glowacz spricht über unbestiegene Wände, seinen Kinofilm und die Angst vor dem Tod

AZ: Herr Glowacz, Sie haben sich bei 40 Grad und Dauerregen zwei Wochen durch den Dschungel zum Tafelberg Roraima in Brasilien durchgeschlagen. Kann man dafür trainieren?


STEFAN GLOWACZ: Ich hätte mich zwei Wochen unter die Dusche stellen können (lacht). Man muss sich mental darauf vorbereiten, sich fragen: Bin ich bereit zu leiden? Ich muss es mir vorstellen: immer nass, verdreckt, giftige Tiere, jede Dorne kann eine Infektion auslösen. Beim leisesten Zweifel darf man nicht gehen.


Die erste Expedition zum Roraima 2010 mussten Sie abbrechen. Warum?


Das war ein Missverständnis mit den Indianern, die uns begleitet haben und unserem Kamerateam auch beim Tragen der Ausrüstung geholfen haben. Wir dachten, sie begleiten uns bis zum Wandfuß. Aber viel früher sagten sie: ’Bis hierhin und nicht weiter’. Tagelang sind wir hin und her gegangen, haben die Ausrüstung zum Wandfuß geschleppt. Das hat uns im Zeitplan zurückgeworfen, die Verpflegung wurde knapp und dann habe ich mir die Ferse gebrochen. Da wussten wir, dass wir ein andermal wiederkommen müssen.


Sie und Holger Heuber kamen wieder, Kurt Albert war beim zweiten Versuch nicht mehr dabei.


Sein Tod hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Er war mein Vorbild und mein Partner. Ich hätte nie gedacht, dass er am Berg stirbt. Er hat einen Routinecheck vergessen und ist abgestürzt. Durch seinen Tod bin ich genauer geworden, mache Sicherheitschecks nicht mehr beiläufig.


Weshalb heißt der Film über Ihre Roraima-Besteigung „Jäger des Augenblicks?”


Weil wir in unseren Expeditionen die intensiven Momente suchen. Manchmal werde ich ganz wehmütig, sehe mir links und rechts die unglaubliche Schönheit an und kann es nicht fassen, dass ich so privilegiert bin, das zu erleben.


Gibt es einen Berg, den Sie nicht bezwungen haben?


Bis jetzt noch nicht. Aber beim Cerro Murallón in Patagonien haben wir drei Mal angesetzt. Dort gibt es zwei bis drei Klettertage und dann kommen Stürme für Wochen, richtige Stürme. Beim ersten Versuch haben wir vier Wochen lang die Ausrüstung hingetragen, 80 Kilometer weit liegt der Berg fernab der Zivilisation. Beim zweiten Anlauf sind wir bis 300 Meter unter den Gipfel gekommen. Dort haben wir vier Wochen gewartet, zu dritt im Zweimannzelt. Es hat uns die Zelte zerfetzt und wir konnten nicht weiter.


Sie könnten ja auch mit dem Hubschrauber bis zum Startpunkt fliegen oder einen Jeep nehmen.


Nein, das entspricht nicht meiner Philosophie. Ich bin Abenteurer, wir schaffen das „by fair means”, also ohne technische Hilfsmittel. Dafür mussten ich auch schon viel Neues lernen.


Was denn?


Segeln etwa. Als wir zur Arktis gesegelt sind, meinte der Skipper: ’Seid guter Dinge und rechnet mit dem Schlimmsten’. Es kam viel schlimmer: Zehn Tage auf dem offenen Meer, riesige Wellen, wir wurden so seekrank. Der Skipper war unser Supervisor, ohne ihn hätten wir das nicht geschafft.


Hatten Sie schon einmal Todesangst auf einer Expedition?


Besonders als ich jung war, ist durch Unwissenheit einiges schief gelaufen. Ich habe mal eine neue Abseilmethode ausprobiert. Auf etwa 200 Metern ging etwas schief und das Seil lief ungebremst durch meine Hand. Da konnte ich nur noch reagieren. Doch es ist nicht mehr passiert, als dass ich mir ordentlich die Hände verbrannt habe.


Sie haben auch einen Lawinenabgang überlebt.


Ja, da wurde ich ohnmächtig, bevor ich mir einen Gedanken machen konnte. Nach dem Eisklettern waren wir auf dem Weg zum Gipfel, wir querten ein Firnfeld und haben ein Schneebrett ausgelöst. Ich habe nur überlebt, weil ich aus der Lawine herausgespült wurde.


Was geben Sie denen mit, die auch Abenteurer und Jäger des Augenblicks werden wollen?


Man sollte sich gut mental und körperlich vorbereiten. Geht mit einer gewissen Demut an den Berg heran, sonst kann es schnell lebensgefährlich werden.

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