Djokovic: Der Spaßvogel macht ernst

NEW YORK - Für seine Faxen und Parodien wird Novak Djokovic geliebt und gehasst in der Tennis-Szene. Vor dem Showdown mit Branchenprimus Roger Federer hat sich der Serbe zum Mitfavoriten gemausert.
Auf dem Centre Court hatte Novak Djokovic jüngst einen „spontanen Einfall“. Kaum hatte der Serbe mit der Igelfrisur in Windeseile das US Open-Achtelfinale gegen den Tschechen Radek Stepanek gewonnen, da forderte er den ungekrönten Plauderkönig John McEnroe auf, zu einem kleinen mitternächtlichen Showmatch aus seiner Kommentatorenkabine herunter aufs Feld zu kommen. „Na trau Dich, Mac“, rief Djokovic unter dem Gelächter der Fans, und der einstige Oberkrawallo ließ sich nicht lange bitten, band den Schlips ab und enterte im weißen Hemd und in langer Hose die Tennisbühne. Aber bevor McEnroe überhaupt zum Schläger greifen und Showbetrieb machen konnte, musste er erst noch eine der berühmt-berüchtigten Imitationen Djokovics über sich ergehen lassen, eine McEnroe-Imitation – natürlich zum äussersten Vergnügen der schadenfrohen, begeisterten Menge. „Ich glaube, New York mag mich wieder“, sagte Djokovic später, „ich fühle mich wieder wohl bei diesem Turnier, in dieser Stadt.“
Nach einer wildbewegten Reise ist Djokovic bei diesem letzten Grand Slam-Spektakel der Saison wieder in der Paraderolle des Titelkandidaten mit hohem Unterhaltungsfaktor angekommen – ein gern gesehener Spaß- und Faxenmacher, der sportlich ernst zu nehmen ist. Nach dem Vier-Satz-Triumph gegen Fernando Verdasco steht Djokovic am Samstag im Halbfinale der Offenen Amerikanischen Meisterschaften und kann erneut versuchen, Maestro Roger Federer ins Schwitzen zu bringen , den Mann, der ihn in den letzten beiden Jahren stets in New York besiegt hat, einmal im Finale, einmal im Halbfinale.
"Federer ist Favorit, aber ich bin in gefährlich guter Form"
Federer gewann am Mittwoch nach hartem Kampf 6:0, 6:3, 6:7 (6:8) und 7:6 (8:6) gegen den Schweden Robin Söderling. „Wir müssen nicht darüber reden, dass er der große Favorit ist. Aber ich bin auch selbst wieder in einer gefährlich guten Form“, sagte Djokovic, der sich bei den bisherigen Grand Slam-Festspielen in dieser Saison in mäßiger Form präsentiert hatte. In Australien gab er im Viertelfinale auf, in Paris verlor er gegen Kohlschreiber im Achtelfinale, in Wimbledon gegen Haas in der Runde der letzten Acht. Schon wurde die Frage gestellt, ob der hochbegabte Belgrader überhaupt noch zum Quartett der Großen Vier gezählt werden könne, an der Seite Federers, Nadals und Murrays.
Doch ausgerechnet in New York, der Stätte emotionaler Wechselspiele, ist Djokovic nun wieder aus seinem Formtief aufgetaucht. 2007 war Djokovic zum Liebling der verrückten New Yorker Tennis-Freaks geworden, als er Kollegen wie Maria Scharapowa, Andy Roddick oder Rafael Nadal parodierte, das Stadion zum Kochen brachte und trotzdem das Finale erreichte. Doch 2008 war er auf einmal der Buhmann, der Bösewicht, der Spielverderber im Gute Laune-Kasino von Flushing Meadows: Bei einem harmlosen Centre Court-Interview flippte Djokovic aus, entfaltete Verschwörungstheorien, machte Andy Roddick madig. Als er in jener Nacht vom Spielfeld marschierte, wurde er ausgepfiffen wie der Tennis-Staatsfeind Nummer 1.
Seine Parodien hatten manche Kollegen erzürnt
Im Halbfinalduell gegen Federer hatte er dann nicht wirklich viele Freunde in der riesigen Betonschüssel. Das Ende der Lustigkeit kam so jedenfalls ganz anders als erwartet – anders als mit dem Verzicht auf die Parodien, die manche Kollegen erzürnt hatten. „Das Problem war: Ich hatte gegen mein eigenes Naturell gehandelt. Ich war nicht mehr Novak Djokovic“, sagt Djokovic jetzt.
Nun macht er sich gar keine großen Gedanken mehr darum, ob der Rest der Welt irgendwas Böses hinter dem Ulk vermuten könnte – und lässt die Stunde des Komödianten schlagen. Als er vor den US Open eine Gruppe von Kindern der 9/11-Opfer zu einem Tennisnachmittag einlud, baten die ihn auch gleich, ein paar seiner besten Parodien zu zeigen: „Da dachte ich mir: Was soll wirklich schlimm daran sein, wenn ich diesen Jungs und Mädchen eine Freude damit machen kann.“
"Todd Martin ist ein großer Motivator, immer positiv"
So wirkt er denn jetzt beim Grand Slam-Einsatz aufgeräumt, locker und lässig wie in alten Glanztagen, scheint bei seiner Identitätssuche als Profi am Ziel angekommen zu sein: „Er ist ein Typ, der einfach mal seine Späßchen machen muss. Unterdrückt er diesen Teil seines Charakters, kann er auch als Profi nicht glücklich sein“, sagt Patrick McEnroe, der Chef des US-Davis Cup-Teams. Weil er inzwischen auch mal über sich selbst lachen und Zielscheibe des Spotts sein kann, nehmen ihm die meisten in der Szene die Imitationen sowieso nicht mehr krumm. Im Frühling bat Nadal den serbischen Kollegen sogar beim Masters in Rom, die Nadal-Parodie vorzuführen.
Die erfolgreiche Charmeoffensive Djokovics in Amerika hat auch mit einem Mann zu tun, der neuerdings in seinem Team als Berater mit den Ton angibt: Der früh ergraute Ex-Star Todd Martin, der vor zehn Jahren selbst noch das Ashe-Stadion durcheinanderschüttelte. Martin ist so ziemlich das genaue Gegenteil von Djokovic: Ein ruhiger Stratege, der kein Wort zuviel sagt, aber ganz viel über das Spiel weiß. „Er ist intelligenter und weiser als ich. Er ist auch ein großer Motivator, immer positiv“, sagt Djokovic, „das ist eine glänzende Partnerschaft.“ Ein Teil von Djokovic ist jetzt amerikanisch, schaden kann ihm das nicht am „Super Saturday“.
Jörg Allmeroth