Interview

Dimitrij Ovtcharov: "Eine extrem traurige Geschichte"

Tischtennis-Star Dimitrij Ovtcharov spricht in der AZ über seine langwierige Knöchel-Verletzung, den Krieg in seiner Heimat Ukraine, den Tod der Oma- und seine Chancen bei der EM in München.
von  Thomas Becker
Dimitrij Ovtcharov
Dimitrij Ovtcharov © Marijan Murat/dpa

SMünchen - AZ-Interview mit Dimitrij Ovtcharov: Der 33-Jährige ist einer der besten Tischtennisspieler der Welt. Er holte bei Olympia 2012 und 2021 jeweils Bronze, war drei Mal Europameister.

AZ: Herr Ovtachrov, vier EM-Medaillen sind bereits in Ihrem Besitz: Gold 2013 und 2015, Silber im vergangenen Jahr und Bronze vor 15 Jahren. Wie fit sind Sie nach der nicht Knöchel-OP im Herbst?
DIMITRIJ OVTCHAROV: Das war eine lange Verletzung, zwei Operationen waren nötig. Aber bei meinem Comeback-Turnier Anfang Juni in Peru bin ich gleich ins Finale gekommen. Das lief deutlich besser als ich selbst erwartet habe, und ich bin sehr happy, dass der Fuß so gut gehalten hat. Der ist mittlerweile bei hundert Prozent. So eine lange Pause hatte ich echt noch nie, sieben Monate – das war extrem zäh.

"Jetzt habe ich keine Familie mehr in der Ukraine"

Nach Bronze bei Olympia in Tokio, Ihrer zweiten Einzel-Medaille nach den Spielen 2012 in London, gab es erst mal einen psychologischen Rückschlag. Hinzu kommt seit Ende Februar der Krieg in Ihrer ukrainischen Heimat – Sie sind in Kiew geboren. Haben Sie noch Familie dort?
Nur meine Oma war noch da, die wir nach langem Kampf rausgekriegt haben, die dann aber leider in Deutschland verstorben ist. Ganz unerwartet, eine extrem traurige Geschichte. Jetzt habe ich keine Familie mehr in der Ukraine.

Dimitrij Ovtcharov über den Krieg in der Ukraine 

Wie erleben Sie diesen Krieg in Ihrer Heimat?
Am Anfang war das der komplette Schock. Da war ich zum Glück verletzt und eh nicht in der Lage, irgendwas zu machen. Ich war natürlich total besorgt um alle Leute, die ich in der Ukraine kannte. Viele sind geflüchtet, teilweise nach Düsseldorf. Auf der anderen Seite habe ich schon sehr lange für Orenburg (Ovtacharov war ab 2010 für den russischen Klub Gazprom Fakel Orenburg aktiv, d. Red.) gespielt. Der Verein ist mir ans Herz gewachsen. Das sind Leute, die Tischtennis in all seinen Facetten fördern. Die können auch nichts für diesen Krieg. Da von heute auf morgen die Zelte abzubrechen, war auch traurig. Der gesamte Komplex war durch die Bank einfach Scheiße.

Wie bekommt man in solch einer Situation wieder den Fokus auf den Ball?
Als der Krieg losging, war ich noch auf Krücken. Das war schwer. Aber mit der Zeit lernt man, damit umzugehen. Ich hoffe jeden Kriegstag, dass es der letzte sein möge. Aber leider sieht es danach aus, als würde es noch eine Weile dauern.

Nach dem Sieg beim Vorbereitungs-Turnier in Budapest geht es für Sie in der Rudi-Sedlmayer-Halle um die EM-Medaillen. Hatten Sie schon mal einen Wettkampf in München?
Ich habe auf der ganzen Welt gespielt, aber noch nie in München. Ich freue mich, dass jetzt wieder Turniere kommen. Ich habe das total vermisst.

Wie gefällt Ihnen diese Idee der gebündelten Europameisterschaften, dieser Mini-Version von Olympischen Spielen?
Ich finde es immer schön, Sportler und Sportarten parallel zu der eigenen Sportart erleben zu können. Das finde ich spannend, klar.

Was werden Sie sich anschauen, wenn es der Wettkampfplan erlaubt?
Beachvolleyball schaue ich gerne, Turnen und Leichtathletik auch, zum Klettern will ich auch mal gehen – das finde ich schon alles spannend.

Dimitrij Ovtcharov rechnet sich EM-Chancen aus

Was trauen Sie sich selbst bei dieser EM zu?
Im Mai wäre ich noch froh gewesen, dabei zu sein. Jetzt rechne ich mir schon wieder Chancen aus. Ich denke, ich gehöre zu dem großen Kreis derer, die eine Chance auf den Titel haben. Dass ich überhaupt so schnell dazu in der Lage war, hat mich überrascht. Ich denke, die Erfahrung wird mir bei dem Turnier auch helfen, im Vergleich zu anderen Leuten, die noch nichts gewonnen haben.

München ist in Sachen Tischtennis ja eher Diaspora. Im April haben Sie bekannt gegeben, dass Sie künftig für den TTC Neu-Ulm an den Start gehen...
Ja, ich werde jetzt öfter in Bayern Tischtennis spielen.

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