Tommy Haas und die US Open: eine ganz besondere Beziehung und „Liebe auf den ersten Blick“. Ein letzter Karriere-Kick mit 33 Jahren: „Tennis ist hier ein raues Geschäft, aber genau das mag ich."
Als er zum ersten Mal in New York aufschlug, war er 18. Das war 1996, und Tommy Haas fuhr noch mit der berühmten U-Bahn-Linie 7 heraus nach Flushing Meadow zu den Qulifikationsspielen. In der ersten Hauptrunde verlor er später in vier Sätzen gegen Michael Stich, seinen berühmten Landsmann, den Wimbledonsieger. „Die US Open, das war so etwas wie Liebe auf den ersten Blick“, sagt Haas heute, „dieses Turnier ist einfach unvergleichlich. Es ist das Turnier, das mich als Spieler am meisten geprägt und immer das Beste aus mir herausgeholt hat.“
Selbst im hohen Profialter, mit nunmehr 33 Jahren, scheinen die geliebten Offenen Amerikanischen Meisterschaften für Haas noch einmal mutmachende und wegweisende Wirkung zu haben: Nach bitter enttäuschenden Comebackwochen, nach viel Ärger und vielen Frustrationen, ist der amerikanische Deutsche gerade rechtzeitig zum schrillen Spektakel im Big Apple in glänzende Spiellaune gekommen. Wo Haas noch kürzlich etwas trübsinnig über ein mögliches Karriereende sinnierte und sich fragte, „ob der ganze Aufwand noch in einem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag steht“, sind die Zweifel und Bedenken nach zwei blitzsauberen Siegen im Grand Slam-Reich von New York verflogen. „Das war heute der alte Tommy Haas“, sagte der gebürtige Hamburger nach dem 7:6, 6:1, 7:5-Sieg über den starken Kolumbianer Alejandro Falla am Donnerstag, nach einem souverän herausgespielten Triumph, der ihn in die dritte Wettbewerbsrunde und zu einem Duell mit dem Argentinier Juan Monaco katapultierte.
Zufall oder nicht: Ausgerechnet bei dem Turnier, das stets Zentrum seiner Tennissaison war, eröffnete sich der alte Meister nun noch einmal eine neue Perspektive für seine ganz späten Karrierejahre. „Diese letzte Rückkehr auf die Tour war die schwerste Herausforderung, die es jemals für mich gab“, sagte Haas, „in diesem Alter fällt einfach alles doppelt und dreifach schwer.“ Zwei Siege nur hatte er in drei niederschmetternden Comebackmonaten eingesammelt, bevor er in die elektrisch aufgeladene Atmosphäre von Flushing Meadow kam und hier gleich zwei Erfolgserlebnisse hintereinander genießen konnte. „Ich kann nicht sagen, dass ich das erwartet habe“, sagte Haas, der wegen einer Hüftoperation eineinviertel Jahre pausiert hatte, „ich habe es mir höchstens gewünscht.“
Schon immer wirkten die US Open wie ein Vitaminstoß für den ehemaligen Weltranglisten-Zweiten, der von den Amerikanern zuverlässig wie einer der Ihren angefeuert wurde. „Ich habe das immer als Heimspiel erlebt, in meiner zweiten Heimat“, sagt Haas. 1991, mit 13 Jahren, war Haas in die Fremde gezogen, um sein Glück im Tennis zu erproben. Fernab von der Familie und seinen Freunden, kämpfte er sich im Ausbildungscamp von Nick Bollettieri nach oben – an die „Tränen und das Heimweh“ könne er sich „noch sehr lebhaft erinnern“, sagt Haas, „aber seit diesen Kindertagen lebe ich ja nun schon in Amerika.“
Kurz vor den diesen US Open, Nummer 14 in seiner Karriere, hatte er sogar einmal erwogen, unter amerikanischer Flagge an den Start zu gehen – seit letztem Jahr besitzt er neben seinem deutschen auch einen US-Paß. Aber in dem Chaos der Suche nach einem Trainer und einem Physiotherapeuten in den letzten Wochen ließ er das Vorhaben dann doch sein: „Ich wollte damit ursprünglich auch Danke an meine zweite Heimat sagen. Auch wenn ich in meinem Herzen Deutscher bin und immer bleiben werde.“ Und als müsse er gleich irgendwelche Zweifel zerstreuen, wies Haas noch einmal auf „strapaziöse Davis-Cup-Matches hin, über viele, viele Jahre“: „Ich habe meinen Kopf oft genug für die Nationalmannschaft und das deutsche Tennis hingehalten.“
Doch New York und die US Open halten im Moment alle seine Sinne gefangen. So wie in den besten Jahren, als er hier schon oft Matches im Tiebreak des fünften Satzes gewann, jener einmaligen Spezialität dieses Grand Slam-Turniers. „Die US Open haben Tommy schon oft geholfen, den Glauben an sich zurückzufinden. Bei all den Comebacks, die es in seiner Karriere gab“, sagt sein ehemaliger Trainer Thomas Hogstedt, „es ist schon ein magischer Ort für ihn.“ Was viele Profis in Verzweiflung stürzt und zu Leistungsblockaden führt, das ganz normale Chaos in der Hexenküche von Flushing Meadow, das ist für Haas stets Inspiration gewesen – ein ganz besonderer Kick und Reiz: „Tennis ist hier ein raues Geschäft. Aber genau das liebe ich.“