"Dieser Blick schüchtert jeden ein"

Trainer Fritz Sdunek erklärt Vitali Klitschkos Comeback – und warum er selbst nach seiner Krebsdiagnose an Selbstmord gedacht hat.
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Ex-Weltmeister Vitali Klitscho betritt gegen Sam Peter die "Danger Zone" - Gefahrenzone.
dpa Ex-Weltmeister Vitali Klitscho betritt gegen Sam Peter die "Danger Zone" - Gefahrenzone.

Trainer Fritz Sdunek erklärt Vitali Klitschkos Comeback – und warum er selbst nach seiner Krebsdiagnose an Selbstmord gedacht hat.

AZ: Herr Sdunek, Ihr Schützling Vitali Klitschko kehrt am Samstag nach vierjähriger Pause in den Ring zurück. Waren Sie eigentlich von seinem Comeback gleich angetan? Schließlich haben Sie anderen Rückkehrwilligen, wie etwa Dariusz Michalczewski, Ihre Unterstützung verweigert.

FRITZ SDUNEK: Vitali wollte ja schon viel früher zurückkommen. Aber wir hatten dann eine große Gesprächsrunde. Seine Mutter und seine Frau waren dabei, Vitali und ich. Und ich habe auf Vitali, der ja erst im Oktober vergangenen Jahres eine Bandscheiben-Operation hatte, eingeredet. Ich habe ihm gesagt: „Du musst an deine Familie, an deine Kinder denken. Wenn du zu früh wieder anfängst, dann kannst du im Rollstuhl enden. Willst du das?“

Wie hat er reagiert?

Wir haben sehr lange diskutiert und dann das Comeback verschoben. Danach hat mich seine Mutter mit Tränen in den Augen in den Arm genommen und gesagt: „Danke Fritz! Du bist der einzige Mensch, der so mit ihm reden kann, der so mit ihm reden darf.“

Nicht umsonst nennt Sie Vitali Klitschko seinen „deutschen Vater“.

Es zeigt das ganz besondere Verhältnis, das wir haben. Wir haben schon viel zusammen durchgemacht. Etwa 2004, als er gegen Hasim Rahman kämpfen sollte und ihm ein paar Tage Tage vor dem Fight das Kreuzband reißt. Er hat dann alles versucht, er wollte unbedingt kämpfen, hat es mit einer Spezialschiene versucht. Und dann gibt dieses Knie nach und dieser Koloss bricht zusammen und schreit vor Schmerzen. Vitali ist der härteste Hund, den ich kenne, wenn der schreit, dann weiß man, es ist ganz schlimm. Und dann saß ich neben ihm und er hat geweint. Nicht vor Schmerzen, sondern vor Enttäuschung, weil er unbedingt kämpfen wollte, aber sein Körper es nicht zugelassen hat. Das hat mir selber fast das Herz gebrochen, Vitali so zu sehen. Deswegen musste er mich auch jetzt erst überzeugen. Seine Werte sind phänomenal.

Was ist Vitalis größte Stärke?

Sein Kopf. Ich kenne keinen Boxer, und ich habe hunderte kennengelernt, der mental so stark ist. Das sehen Sie auch in seinen Augen. Dieser Blick! Der schüchtert den Gegner sofort ein. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre so ein Kampf schon vor dem ersten Gong beendet. Und Vitali hat einen Eisenkopf. Er kann Schläge wegstecken, wie etwa gegen Lennox Lewis, da wären andere schon längst k.o. Aber er weigert sich, ausgeknockt zu werden. K.o. zu gehen, das ist ja ein Schutzreflex des Gehirns, den schaltet er mit seiner Willensstärke aus.

Und welche Schwächen hat er?

Er atmet falsch. Er hechelt. Aber das hat er schon immer getan. Wenn ich es ihm sage, dann sagt er nur: „Meine Oma hat genauso geatmet und ihr Arzt hat ihr auch mal gesagt, dass sie falsch atmet. Da hat sie nur gemeint: Junger Mann, werden sie erstmal so alt mit richtiger Atmung wie ich mit falscher.“ Vitali hat auf alles immer eine Antwort. Er ist auch außerhalb des Rings schlagfertig.

Sie selber haben die schwersten zwei Jahre Ihres Lebens hinter sich. Erst wurde bei Ihnen Krebs an der Lippe diagnostiziert, dann mussten Sie eine Notoperation am Herzen über sich ergehen lassen.

Ja, besonders die Diagnose Krebs war ein unglaublicher Schock. Speziell, weil in dem Jahr vier meiner Verwandten – zwei Onkel, eine Tante, ein Cousin – an Krebs gestorben sind. Ich habe bei denen gesehen, wie sie gelitten haben, wie unwürdig dieser Prozess des Dahinsiechens ist. Wie sehr nicht nur der Patient, sondern auch das gesamte Umfeld darunter leidet. Das wollte ich weder mir noch meiner Familie antun.

Das heißt konkret: Sie beschäftigten sich mit Selbstmord?

Ja, ich habe mir das alles schon zurechtgelegt für den Fall, dass die Behandlung schief geht. Eines Abends, meine Frau und ich saßen auf der Terrasse, da hat sie mich angeschaut und fast erschreckt gefragt: Was denkst du gerade? Und da habe ich ihr gesagt, wenn es nicht klappt, dann beende ich es. Wir haben dann nie wieder darüber gesprochen. Zum Glück bin ich jetzt geheilt.

Bei der Behandlung greifen Sie auch auf ungewöhnliche Methoden zurück.

Ja, ich kenne einen Wunderdoktor. Wenn ich mich mal schlecht fühle, dann rufe ich ihn an, und er schickt mir Energie. Das ist manchmal unglaublich. Ich sitze am Telefon, und er sagt: „Herr Sdunek, Sie haben wohl gerade die Beine überkreuzt, ich spüre, dass ihr Energiefluss gestört ist.“ Dann schaue ich an mir runter und sehe, dass ich wirklich so da sitze. Ich bin ja in der DDR als Kommunist, als Atheist erzogen worden, aber solche Menschen zeigen mir, dass es in dieser Welt mehr geben muss als nur uns.

Interview: Matthias Kerber

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