Diese Stiche treffen das IOC ins Herz

Degenfechterin Imke Duplitzer rechnet mit den Funktionären ab: „Wir Sportler sind nur schmückendes Beiwerk“ und "es geht nur um Kommerz, darum, Olympia als Musikantenstadl des Sports zu verkaufen".
von  Abendzeitung

Degenfechterin Imke Duplitzer rechnet mit den Funktionären ab: „Wir Sportler sind nur schmückendes Beiwerk“ und "es geht nur um Kommerz, darum, Olympia als Musikantenstadl des Sports zu verkaufen".

AZ: Frau Duplitzer, gleich nach den Unruhen in Tibet im März erklärten Sie Ihren Verzicht auf die Eröffnungsfeier in Peking. Haben Sie’s am Freitag im Fernsehen gesehen?

IMKE DUPLITZER: Nein. Ich saß in meinem Bettchen im Olympischen Dorf, habe ein Buch gelesen. Das Feuerwerk habe ich knallen gehört, einige, die dabei waren, meinten hinterher, es sei superduper bombastisch gewesen. Vermisst habe ich es nicht.

Was haben Sie denn sonst so hier mitbekommen?

Dass das alles eine Hochglanzfassade ist, in der wir Sportler wohnen. Das Dorf und die Anlage, wunderschön, aber alles überreguliert. Alles von A bis Z organisiert, ohne Gefahr, sich mal zu verlaufen. Nicht mal eine kleine Panne. Es ist alles zu perfekt. Wir haben im Dorf einen Wasserfall, da knipsen die jeden Tag die Blätter raus, damit das wieder auf Hochglanz kommt. Das ist mir zu viel.

Eine Fassade, die zu dick aufgetragen ist?

Es ist optimal geschmacksneutral. Ich kann nicht sagen, es ist grausam, aber es macht mich auch nicht rasend glücklich. Es ist eine geschlossene Welt. Ich bin mal in Peking durch die Gegend gefahren, da ist die reale Welt. Mit meiner Kritik an China hatte ich auch nie die 1,3 Milliarden Chinesen gemeint. Sondern die eine Million Chinesen, die davon profitiert.

Immerhin könnte es dazu führen, dass sich der Horizont der Menschen gegenüber den anderen Kulturen durch die Spiele erweitert.

Klar. Deswegen wäre ein Boykott Blödsinn gewesen. Toll, dass die Chinesen begeistert sind. Das Problem ist nur, dass in China nichts passiert ist.

Sie meinen in Sachen Menschenrechte?

Das IOC hat bei der Vergabe nach Peking 2001 ein paar Körner in die Wüste geschmissen und gesagt: Das wird schon. Aber so können Sie als Bauer kein Feld bestellen. Wie das IOC mit den Werten umgeht, die es verkauft, ist traurig. Eine perverse Logik. Das IOC müsste mal zugeben: Ja, wir sind ein knallhartes Wirtschaftsunternehmen. Aber dann würde ja die Idee nicht mehr funktionieren, dass alles nur friedlich, glücklich, trallala ist. Wir Sportler sind nur schmückendes Beiwerk, damit die Funktionäre und Sponsoren das hier verkaufen können. Wir sind die Hofnarren, die alle vier Jahre aus dem Schrank geholt werden, der Berufskasper, der die Welt erheitert.

Sie fühlen sich also instrumentalisiert, damit das IOC sein Geschäft macht?

Für uns Athleten ist Olympia ein Gefühl, die Realisierung eines Traums. Aber dem IOC geht es nur um Kommerz, Olympia als Musikantenstadl des Sports zu verkaufen. Bei aller Faszination, für uns kann Olympia ganz bitter sein. Bei Misserfolg schlagen sie auf dich ein. Und wenn du Erfolg hast, wirst du herumgereicht, bei jedem, der schön brav dafür bezahlt hat. Im Deutschen Haus, im Fernsehen, bei IOC, beim DOSB, da kriegt dann jeder seinen Happen von dir ab.

Davon profitieren auch Sie als Sportler, eine gute Plattform für Werbeverträge.

Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich, die dauernd ihren Mund aufmacht, noch einen Sponsor findet. Amnesty International würde gut passen, aber die sollen das Geld woanders hinstecken. Oder die Schwulen- und Lesbenbewegung, aber die haben auch kein Geld. Ich mache das auch nicht, um mich zu profilieren. Ich finde das nur belustigend. Dass das IOC und der DOSB so nervös und panisch sind, nur weil eine Pissnase wie ich sich hinstellt und die Wahrheit sagt – absurd! Die müssten über mich doch erhaben sein, aber kaum sage ich was, kriegen sie schweißnasse Hände. Da lache ich mich tot.

Sie sind Einzelkämpferin. Fehlt anderen der Mut?

Was erwarten Sie von der Jugend der Welt? Die müssen erst mal rausfinden, ob Clerasil besser ist als jedes andere Pickelmittel. Die haben Schiss vor der Dresche. Außerdem gilt bei den meisten die Devise: Beiß nicht die Hand, die dich füttert. Und wir bewegen uns auf ganz dünnem Eis.

Sie ganz sicher.

Wenn sie mir sagen, sie schmeißen mich raus, dann sollen sie. Ich habe noch ein anderes Leben, ich muss mich nicht als Tanzbär hinstellen. Über allen Sportarten, bei denen es keinen Überhype gibt, schwebt immer das Damoklesschwerts des Ausschlusses. Deswegen müssen die brav sein. Sonst schauen die Athleten in die Röhre und können wieder Breitensport machen. Den Funktionären ist das schnurz, die wollen ja nur durch die VIP-Lounges turnen.

Warum lassen Sie sich denn nicht zur Aktivensprecherin des Verbands wählen, dann bekämen Sie mehr Gehör?

Da wäre ich auch nur Teil eines System, der nur geduldet wird, wenn er das System bedient. Ich bin jetzt 33, die können nicht erwarten, dass ich den Deppen gebe und nicht meine Meinung sagen darf. Wenn wir dahin kommen, dass wir Athleten mit unserer Meinung hinterm Berg halten müssen, brauchen wir uns nicht beschweren, dass die Spiele an dieses System vergeben worden sind. Ich denke, dass das IOC in jedem Fall verdammt aufpassen muss.

Weil der Spagat zwischen Wirtschaftsunternehmen und dem Verkauf des Olympischen Ideals nicht mehr glaubwürdig ist?

Ja. Der Umgang des IOC mit den Menschenrechten, mit den Werten, die sie auf das Vehikel Olympia draufpacken: Diese Magie zieht nicht mehr. Das Fundament, die Fassade, alles hat Risse bekommen. Wenn ich eine Umfrage höre, nach der sich in Deutschland nur noch 47 Prozent für Olympia interessieren, mein Gott, jeder Unternehmensberater würde da die Hände überm Kopf zusammenschlagen. So wird’s auf Dauer eng fürs IOC.

Würden Sie sich wünschen, dass das System implodiert?

Ja genau, das wünsche ich mir. Aber das werden Sie nicht hinkriegen. Wie Zecken. Die gibt es seit Jahrmillionen. Die kriegen sie auch nicht kaputt. Die überleben sogar Waldbrände.

So wenig angetan, wie Sie von Olympia sind, werden Sie also wie schon vor Monaten angekündigt gleich nach Ihrem Wettkampf heimfliegen.

Ja. Donnerstag Kofferpacken, Freitagmorgen geht der Flug, nachmittags, halb 4, lande ich. Dann geht es zurück in meine mäßig gestrichene Wohnung, und dann genehmige ich mir daheim auf meiner Terrasse ein schönes Glas Rotwein.

Florian Kinast

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