Die ungewisse Zukunft des Gladiators Nadal
Nach dem Erstrunden-Aus in Wimbledon steht Nadal am Scheideweg. "Er wird sich viele Fragen stellen müssen – und ich glaube, dass ihm einige Antworten nicht gefallen werden.“
London - Als Rafael Nadal am Montagabend in einer Turnierlimousine den All England Club durch Tor 15 passierte, war eigentlich fast alles wie immer: Ein Heer von Fans jubelte dem Matador zu, ein paar spanische Fahnen wurden geschwenkt, „Nadal“-Sprechchöre erklangen – und auch ein paar Paparazzi ließen die Kameras klicken. Doch auf den zweiten Blick stimmte gar nichts mehr an dieser Szene, in der hereinbrechenden Dunkelheit des ersten Turniertages der Offenen Englischen Meisterschaften des Jahres 2013: Denn im Inneren des Vans saß ein geknickter, geschlagener und verletzt angeschlagener Mann, der mit leerem Blick in die Menschenmenge winkte und fast so aussah, als müsse er schwer die Tränen der Enttäuschung verbergen. Und es war auch nicht irgendeine Fahrt des 12-maligen Grand Slam-Champions bei diesem zweiwöchigen Turniermarathon, es war am Auftakttag des Turniers der Turniere schon die letzte Aus-Fahrt für Nadal, gerade einmal neun Stunden nach den eröffnenden Ballwechseln der Rasenparty.
„Ein Tag zum Vergessen“ titelte Spaniens großes Boulevardblatt „Marca“ nach dem schockierenden Startstrauchler von Nadal, nach dem 6:7, 6:7, 4:6-Knockout gegen den Belgier Steve Darcis, die Nummer 135 der Welt. Doch es könnte auch ein Tag zum Erinnern sein, ein Tag, der eine Zeitenwende in Nadals Karriere markiert. „Dieses Spiel wird ein großes Echo haben – für Nadal, aber auch für das ganze Herrentennis“, sagte Amerikas ehemaliger Davis Cup-Teamchef Patrick McEnroe, „das ist schon irgendwie eine Tragödie.“ Und tatsächlich: Nach dem Zweitrunden-Scheitern beim letzten Wimbledon-Turnier gegen den Tschechen Lukas Rosol, einer siebenmonatigen Verletzungspause und einem fulminanten Comeback seit Februar, gekrönt durch den achten French Open-Triumph, war die sportliche Zukunft Nadals nun ein einziges großes Rätsel. „Ich befürchte, dass wir ihn in den nächsten Jahren noch viel weniger zu sehen bekommen“, sagte Boris Becker, „er wird seinen Körper gewaltig schonen müssen.“ Auch Englands Ex-Profi Tim Henman sah in der Niederlage einen schicksalhaften Wink für Nadal: „Er wird sich viele Fragen stellen müssen – und ich glaube, dass ihm einige Antworten nicht gefallen werden.“
Der erste Ausflug auf eine frisch gemähte Tennis-Wiese endete für Nadal nach den rauschhaften Siegeswochen im roten Sand jedenfalls nicht nur mit einer fatalen Erstrunden-Niederlage, sondern auch mit der bitteren Erkenntnis, dass sein Körper schon wieder nicht mitspielte im großen Grand Slam-Spiel von Wimbledon. Auf den letzten Metern der Partie hinkte und humpelte der 27-jährige Mallorquiner nur noch mit grimmigem Blick auf dem Gras von Court Eins umher, auch vom Schmerz im linken Problemknie gezeichnet. Reden wollte Nadal später in seiner Pressekonferenz nicht über das Offensichtliche, über die peinvolle Abschiedsvorstellung, über den wieder nicht funktionstüchtigen Körper – „aus Respekt vor meinem Gegner, denn das würde ja nur wie eine Entschuldigung klingen“. Doch ganz am Ende des Frage-und-Antwort-Spiels entlarvte er dann doch das ganze Dilemma, in dem er sich gerade hier im geliebten Wimbledon befindet: „Rasen ist der schwerste Belag für meinen Körper“, sagte Nadal mit leicht gereiztem Unterton, „ich kann mich hier nicht so bewegen, wie ich will.“
Ein Satz mit Ausrufezeichen, der Fragezeichen setzt. Denn es sind keineswegs nur die Rasenplätze, die Nadal das Leben schwer machen und sein selbstsicheres Auftreten erschüttern. Bald schon folgt der Saisonabschnitt, den der Gladiator eigentlich am meisten haßt – die wochenlange Tretmühle auf nordamerikanischen Hartplätzen. Ein Spiel mit der eigenen Gesundheit jedes Mal für Nadal, eine Tour der Leiden. „Ich wäre mir nicht sicher, ob er viele Turniere in den USA spielt. Und ob er bei den US Open antritt“, sagte Ex-Superstar John McEnroe, „Nadal wird seinen Turnierkalender künftig mehr denn je nach seinen eigenen Bedürfnissen ausrichten.“
Viel war vor diesem Wimbledon-Championat vom Kampf der drei Grand Slam-Riesen Federer, Murray und Nadal in ein und derselben Auslosungshälfte die Rede, von einem Viertelfinal-Duell der alten Titanen Federer und Nadal. Doch stattdessen offenbarte sich nach dem neuerlichen Tief- und Rückschlag für den Mallorquiner eine veränderte Tektonik im Plattensystem des Herrentennis - und die Ahnung einer veränderten Kraftbalance in den nächsten Jahren. Um seinen fragilen Körper zu schonen, könnte Nadal nach dem Eindruck vieler Experten zu einem hochqualifizierten Teilzeitarbeiter werden, der nur noch dort antritt, wo es ihm opportun erscheint – für absolute Spitzenpositionen in der Rangliste käme er dann nicht mehr in Betracht. „Wir werden mit dem ganzen Team analaysieren, was dieser Tag bedeutet“, sagte Nadals Onkel und Trainer Toni in den Stunden nach dem Scheitern, „wichtig ist, jetzt nichts zu überstürzen.“ Aber bekannt waren sie beide, Trainer und Spieler, auch immer dafür, sich nicht vor unbequemen Entscheidungen zu drücken. Und das hieße: Auch nicht vor der möglichen Entscheidung, bald sogar auf Grand Slam-Turniere wie Wimbledon oder die US Open zu verzichten.
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