Die Todes-Streif

KITZBÜHEL - Ski-Legende Karl Schranz kritisiert die Streckenführung. "Dieser Zielsprung ist total überflüssig. Wir sind nicht bei den Skispringern!"
Das Bulletin aus der Uniklinik Innsbruck stimmte zuversichtlich. „Alle Körperfunktionen sind stabil“, sagte Professor Norbert Mutz, „wir haben keine wesentlichen Sorgen im Moment.“ Der Patient Daniel Albrecht (25), der Abfahrer, am Donnerstag beim Training in Kitzbühel bei Tempo 138 fürchterlich gestürzt war, ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Gehirnblutung und eine Lungenquetschung erlitt.
Während Albrechts Eltern Martin (63) und Beatrice (56) sowie Bruder Fabian (28) am Krankenbett wachten, entbrannte in Kitzbühel selbst wie immer nach solchen Unfällen eine Diskussion um die Sicherheit. „Dieser Zielsprung ist total überflüssig“, wetterte Ex-Weltmeister Karl Schranz (70). „Wir sind doch nicht bei den Skispringern der Vierschanzentournee.“ Mit Sprüngen, die in der Weite vor 20 Jahren noch für Olympia-Gold auf der Normalschanze gereicht hätten und mit Geschwindigkeiten von über 140 km/h. Wer auf Österreichs Autobahnen so schnell unterwegs ist, riskiert 70 Euro Bußgeld. Auf der Streif riskieren die Skiläufer ihr Leben. Das Hahnenkammrennen, ein unverantwortbar mörderisches Spektakel für das Volk mit 40.000 Zuschauern und den Promis in den 3000 Euro teuren VIP-Logen? Schampus und Streif, in Anlehnung an Brot und Spiele im alten Rom? Den Daumen nach unten senkte Olympiasieger und Toni Sailer (73), zumindest zur Kritik von Schranz: „Der Karl redet Unsinn“, schimpfte Kitzbühels alter Ski-Held zur AZ, „der Sprung war schon immer da und früher noch viel schlimmer.“ Auch noch im letzten Jahr, als Scott Macartney an gleicher Stelle stürzte. Damals hatte es heftige Kritik gegeben, weil die Absprungkante nicht markiert gewesen war. „Sie spielen mit unserem Leben“, klagte US-Star Bode Miller.
Die Veranstalter entschärften und kennzeichneten den Sprung, so sprach auch der Kärntner Ex-Weltklassefahrer Armin Assinger von einem Fahrfehler: „Daniel hatte beim Absprung das Gewicht auf der Ferse. Dadurch bekam er Rücklage und Unterluft. Und leider wird es solche Stürze auch in Zukunft immer wieder geben.“
Auch von den Läufern gab es keine Klagen, am Mittwoch beim Sicherheitsrat zwischen Renndirektor Günter Hujara und den Aktiven Bode Miller, Didier Cuche, Aksel Lund Svindahl, Erik Guay und Hermann Maier, die die Läufer in dem Gremium vertreten. Das Fahrer-Quintett war zufrieden, Hermann Maier sprach sogar von der „leichtesten Streif aller Zeiten“. Hujara wehrte sich gestern gegen die Kritik: „Der Zielsprung verzeiht jetzt viel mehr als früher. Einen Fahrfehler wie den von Daniel Albrecht verzeiht er nicht. Wenn wir solche Stürze verhindern wollen, dann müssen wir den Skisport einstellen.“ Das werden sie aber nicht tun. Schon gar nicht in Kitzbühel. Im alpinen Circus Maximus.
Florian Kinast