Die Rätsel-Formel

Weltmeister gesucht! Noch nie war eine Saison vor dem Start so offen. Macht am Ende sogar erstmals ein BMW-Pilot das Rennen?
von  Abendzeitung

MELBOURNE - Weltmeister gesucht! Noch nie war eine Saison vor dem Start so offen. Macht am Ende sogar erstmals ein BMW-Pilot das Rennen?

Der Mann hat seine Prinzipien. Eine davon ist etwa, sich innerhalb von Sekunden eine Meinung über sein Gegenüber zu bilden. Niemals aber würde Norbert Haug sich dazu hinreißen lassen, vor Saisonbeginn eine Vorhersage über den kommenden Weltmeister zu treffen. Der Mercedes-Motorsportchef hält das für unseriös, schließlich kann in einer Saison vieles passieren.

Andere sind da nicht so prinzipientreu wie Haug. Doch dieses Jahr wagen selbst die Laudas und Rosbergs dieser Welt, die ehemaligen Rennfahrer und heutigen TV-Experten keine Prognose. „Klar ist, dass sehr viele Fahrer Weltmeister werden können“, sagt etwa Premiere-Experte Keke Rosberg. Tatsächlich sind es so viele wie nie.

Die umfassendste Regel-Reform seit Beginn der Formel 1 vor 59 Jahren und drastische Sparmaßnahmen haben die Hierarchie in der Königsklasse des Motorsports jedenfalls gehörig ins Wanken gebracht.

Acht von zehn Teams gelten als potentielle Siegkandidaten, mindestens sieben Piloten werden ein Wörtchen um den Titel mitsprechen wollen – Überraschungen nicht ausgeschlossen. Selbst Jenson Button, der beim lahmen Honda-Team zuletzt wohl nur noch möglichst viel Geld verdienen wollte und ans Karriereende dachte, hat jetzt plötzlich wieder richtig viel Spaß am Rennfahren – und richtig viel Lust auf Siege. Sein von Superhirn Ross Brawn konstruiertes Wunderauto macht’s möglich.

Nicht weniger ehrgeizig, aber mit realistischeren Titelchancen gehen die Ferrari-Piloten Kimi Räikkönen und Felipe Massa in die Saison. Und Fernando Alonso, Weltmeister Lewis Hamilton und die BMW-Piloten Nick Heidfeld und Robert Kubica wollen ebenfalls ganz nach oben. fil

Favorit in der Krise

Lewis Hamilton (24), McLaren-Mercedes, 35 Rennen, 9 Siege, 1 WM-Titel: Obwohl die Ingenieure beim Bau seines neuen McLaren Mercedes geschlampt zu haben scheinen – Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug sieht das Team momentan nur im hinteren Drittel des Feldes – gilt der jüngste Weltmeister aller Zeiten für die deutschen Formel-1-Fans auch heuer wieder als Top-Favorit. In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag vojn Premiere votierten 42 Prozent für Hamilton, lediglich 17 Prozent setzten auf Ferrari-Mann Felipe Massa. Auch RTL-Experte und Formel-1-Legende Niki Lauda will Hamilton trotz der McLaren-Krise nicht abschreiben. „Lewis Hamilton wird gestärkt aus der Winterpause kommen – weil er jetzt weiß, wie man den Titel holt. Ich würde mein Geld auf ihn setzen“, sagt er.

Der trockene Instinktpilot

Kimi Räikkönen (29), Ferrari, 129 Rennen, 17 Siege, 1 WM-Titel: Der schweigsame Finne hat seit vier Monaten keinen Schluck des Nationalgetränks Wodka getrunken. Will sich bei Ferrari rehabilitieren für die mäßigen Leistungen der vergangenen Saison. „Ich würde auf Kimi Räikkönen setzen", sagt Premiere-Experte Keke Rosberg, „ich gehe sehr stark davon aus, dass er wieder zurückkommt. Er ist unglaublich fit und motiviert.“ Und der dreimalige Weltmeister Niki Lauda meint: „Kimi ist ein Instinktpilot. Cool, unbeeinflussbar, ein Kühlschrank auf vier Rädern. Der aber 2008 mit dem Ferrari nicht ganz klarkam und lustlos wirkte. Er muss Massa schlagen, sonst sehe ich schwarz für seine weitere Zukunft bei Ferrari.“ Fernando Alonso, Robert Kubica und Sebastian Vettel scharren schon mit den Hufen.

Gereifter Brasilianer

Felipe Massa (27), Ferrari, 105 Rennen, 11 Siege: Verlor den WM-Titel letzte Saison erst in der allerletzten Kurve seines Heimrennens. Dürfte den Schock aber mittlerweile überwunden haben, zumal ihn spätestens seit letzter Saison die Herzen der brasilianischen Fans gehören. Auch bei Ferrari und den Italienern ist der lockere und gut italienisch sprechende Brasilianer beliebter als sein Teamkollege Räikkönen. „Felipe ist letztes Jahr schon zum absoluten Spitzenfahrer gereift“, sagt Premiere-Kommentator und Ex-Formel-1-Fahrer Marc Surer. Massas erstes Ziel muss es dennoch sein, erstmal, wie letztes Jahr, seinen Teamkollegen Räikkönen zu schlagen und Rennen zu gewinnen. Traditionell benennt Ferrari im Laufe der Saison irgendwann den Weltmeisterkandidaten der Scuderia.

Quälix mit hässlichem Auto

Fernando Alonso (27), Renault, 122 Rennen, 21 Siege:Fuhr im Winter jeden Tag 90 Kilometer Fahrrad – und hielt selbst mit den Tour-de-France-Siegern Carlos Sastre und Lance Armstrong mit. Der zweimalige Weltmeister (2005, 2006) gilt nachwievor als talentiertester Fahrer im Feld – und ist wieder richtig motiviert. „Das Ziel kann nur der Titel sein“, sagt er selbst. Renault baute ihm zwar ein häßliches Auto, das mit seiner viel zu breiten Nase und dem langem Heck mehr Ähnlichkeit mit einem LKW als mit einem Rennwagen aufweist, aber der Bolide ist leicht – und voll auf Alonsos äußerst aggressive Fahrweise ausgelegt. „Das ganze Renault-Team steht hinter ihm“, sagt Premiere-Kommentator Marc Surer, „er ist die absolute Nummer 1 in seiner Mannschaft. Das wird ihm helfen.“

Der coole Hund aus Krakau

Robert Kubica (24), BMW, 40 Rennen, 1 Sieg:Der in der Toscana aufgewachsene Pole gilt allen Experten als ähnlich talentiert wie Alonso, Hamilton und Sebastian Vettel. Holte letzte Saison in Montreal den ersten Sieg für das BMW-Sauber-Team und hatte bis zum vorletzten Rennen in China noch Chancen auf den Titel – und beschwerte sich trotzdem über mangelnden Titelglauben bei BMW. „Mit Robert Kubica hat BMW einen Piloten, der alle Anlagen hat, ein Toppilot zu sein. Sauschnell, redet keinen Blödsinn, ein richtig cooler Hund.“, sagt Lauda. Nachteil: Kubica gehört mit seinen 72 Kilo bei 1,84 zu den größten und schwersten Fahrern im Feld, fährt darum in Melbourne ohne Kers. Flucht regelmäßig auf italienisch „Porca miseria“ (Verdammt!), weil das Regelwerk leichte Fahrer bevorzugt.

Letzte Chance des Überholers

Nick Heidfeld (31), BMW; 150 Rennen, kein Sieg: Nahm im Winter, obwohl er nicht gehungert haben will, noch mal ab, wiegt bei 1,65 m nur 58 Kilo und ist damit der leichteste Pilot im Feld. Ist, genauso wie sein Chef, BMW-Motorsportchef Mario Theissen, ein Fan des neuen Bremsenergierückgewinnungssystems Kers und hat als Leichtgewicht keine Probleme mit dem Gewichtsnachteil durch das System. Gilt ohnehin als einer der besten Überholer im Feld und kann den Kers-Powerknopf als weiteren Vorteil ansehen. „Heidfelds Möglichkeiten, auch auf den Titel, müssten dieses Jahr also gut sein“, sagt Ex-Weltmeister und Premiere Experte Keke Rosberg. „Es ist aber auch Realität, dass er erstmal seinen ersten Grand Prix gewinnen muss", ergänzt er. Sonst könnte die Karriere ganz schnell zu Ende sein.

Der Playboy will wieder racen

Jenson Button (29), Brawn GP, 153 Rennen, 1 Sieg: Galt in England lange als kommender Superstar. Lewis Hamilton fuhr noch in der Formel 3, als Button sich 2004 regelmäßig Katz- und Maus-Spiele mit Michael Schumacher leistete. Am Ende wurde Button Saison-Dritter. Doch dann schien er sich schon eingerichtet zu haben in seiner Rolle des letzten Playboys in der Formel 1 neben David Coulthard. Der ist in Rente gegangen und längst verheiratet, Button dagegen wechselt seine äußerst hübschen Freundinnen zwar immer noch gerne, doch spätestens seit Februar sind auch seine Qualitäten als Vollgasgeber wieder gefragt. Sein Auto ist momentan das schnellste im Feld und Button scheint plötzlich ehrgeizig wie nie. „Zumindest in den ersten Rennen sollte er gewinnen können“, sagt Lauda.

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