Die Konkurrenz im eigenen Haus

GARMISCH-PARTENKIRCHEN - Skistar Maria Riesch feiert Weihnachten mit Lindsay Vonn in Partenkirchen und denkt heuer vor allem an das Schicksal von Matthias Lanzinger.
Die Zeit der Experimente ist vorbei. Der Versuch, Traditionen aufzubrechen, sich Neuem zu öffnen, im Hause Riesch ist er gescheitert. Denn die Begeisterung über den revolutionären Menüplan hielt sich vor allem beim Gast aus Amerika in Grenzen, letztes Jahr an Heiligabend. „Der Lindsay“, sagt Maria Riesch, „haben die Weißwürscht’ nicht so wahnsinnig g’schmeckt.“ Und deswegen gibt es heuer wieder das Altbewährte. Käseraclette mit Kartoffeln und Shrimps.
Das was auch die Lindsay schon oft hier hatte. Weil Weihnachten feiern Lindsay Vonn und Maria Riesch schon zum fünften Mal miteinander in Partenkirchen.
Lindsay, die beste Freundin von Maria. Und die härteste Rivalin auf der Skipiste, über die Riesch sagt: „Natürlich will ich gegen sie gewinnen. Aber wenn eine vor mir ist, dann lieber die Lindsay als eine Österreicherin.“
Los ging die Freundschaft bei der Junioren-WM 2000 in Quebec, 2001 feierten beide ihr Debüt im Weltcup, Lindsay noch unter ihrem Mädchennamen Kildow. Und 2004, vor vier Jahren, da sprachen sie dann auch über Weihnachten.
Denn da bleiben die Skifahrer des US-Teams immer in Europa. Wegen der Rennen rund ums Fest lohnt der Heimflug nicht, zum Fest treffen sie sich dann immer im Tiroler Winter-Hauptquartier der Amerikaner in Kirchberg. „Aber mit dem Team wollte die Lindsay nicht feiern“, erzählt Maria Riesch, „deswegen hat meine Mama gesagt: ’Dann bring die Lindsay doch zu uns mit’.“ Das tat die Maria dann auch.
Seitdem ist viel passiert, die beiden Kreuzbandrisse von Riesch 2005, gefolgt von ihrer Rückkehr, die von der Lindsay mindestens genauso bejubelt wurde wie das Comeback des Käseraclette am Weihnachtstisch.
Inzwischen sind die beiden mit die weltbesten Skiläuferinnen, auf den Pisten schenken sie sich wenig. Genauso wie zu Weihnachten, zu dem die Lindsay nun erstmals auch ihren Mann Thomas nach Partenkirchen mitnimmt.
In St. Moritz, beim Weltcup letzte Woche, waren sie zwar noch beim Einkaufsbummel, „aber viel an Präsenten gibt es nicht“, sagt Riesch. „Nur ein paar Kleinigkeiten. Ein Parfüm, Klamotten. Frauensachen. Ist auch nicht so wichtig.“ Wichtig, das sah Riesch auch heuer wieder, sind andere Dinge. Die Gesundheit. Das Leben. Und so gab es drei Ereignisse, die die 24-Jährige ganz besonders berührten. Verteilt über das ganze Jahr. Im März, im Juli, im Oktober.
Zunächst das Schicksal von Matthias Lanzinger. Der beim Super-G in Kvitfjell in Norwegen so schlimm stürzte, dass sie ihm den Unterschenkel abnehmen mussten. „Ich habe den Matthias erst kürzlich getroffen“, sagt Riesch, „es ist ein Wahnsinn und bewundernswert, wie er mit seinem Schicksal umgeht.“ Riesch erinnerte sich da an ihre Zeit mit den kaputten Kreuzbändern. „Damals dachte ich mir: ’Warum ich?’ Aber wenn die Zeit vergeht und man sich den Matthias anschaut, dann kapierst du erst, dass so ein Kreuzbandriss gar nicht schlimm ist.“
Etwas Schlimmes hörte sie dann auch Anfang Juli. Von einem tödlichen Unfall bei den Schweizer Outdoor Games in Interlaken, einem Festival für Extremsportler. Daran nahm auch Yoann Lizeroux teil, der Bruder des Weltklasse-Slalomläufers Julien Lizeroux aus Ost-Frankreich. Yoanns Leidenschaft war das Basejumping. Das Springen von festen Objekten, mit einem Fallschirm, der sich erst spät öffnet, oder einem fledermausähnlichen Wingsuit.
An diesem 1. Juli stand er auf dem „Melchstuhl“ einem Vorsprung an der Westseite des Jungfrau-Massivs. Freunden sagte er dort noch: „Was für ein wundervoller Tag, was für ein wundervolles Leben. Und jetzt mache ich einen wundervollen Sprung.“ Es wurde ein Sprung in den Tod. Lizeroux blieb an einer Felskante hängen, prallte auf dem Boden auf und starb sofort. „Auch das hat mich geschockt“, sagt Riesch, „mit meinen Gedanken war ich da lange bei Julien und seinen Eltern.“ Und im Herbst dachte Riesch dann noch an ihre eigene Mutter Monika.
Denn da hörte sie von dem Flugzeugabsturz in Nepal, als Anfang Oktober beim Anflug auf Lukla am Mount Everest 18 Menschen starben. „Genau ein Jahr davor hat meine Mama die gleiche Tour gemacht“, erzählt Riesch, „mit dem gleichen Reiseveranstalter. Wenn man das hört, kann man nur dankbar sein, wenn man gesund ist und lebt.“
Daran wird sie Heiligabend auch beim Friedhofsbesuch denken, erst am Familiengrab, wo sie vor zwei Jahren innerhalb weniger Monate zwei ihrer Onkel und den Opa beerdigen mussten, und dann vor der großen Tanne, wo eine Blaskapelle jedes Jahr „Stille Nacht“ spielt. „Das sind die Momente, in denen man nochmal richtig zum Nachdenken kommt“, sagt Riesch.
Viele ruhige Momente gibt es dann nicht mehr, schon am 1. Feiertag reisen sie und Lindsay weiter zum nächsten Rennen am Semmering, spätestens Weihnachten 2009 sind sie dann wieder gemeinsam hier, und vermutlich noch so lange, wie sie beide Ski laufen.
Nach der Karriere will Riesch auch einmal die Feiertage bei Familie Vonn in ihrem neuen Haus in Park City in Utah verbringen. Dann garantiert ohne Weißwürscht.
Florian Kinast