Die besten Plätze

Beim 0:3 gegen China erhalten Deutschlands Tischtennis-Asse um Superstar Timo Boll Anschauungsunterricht. Freuen können sie sich aber über ihre Silbermedaille trotzdem.
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Freud und Leid: Ma Lin dreht sich jubeln um, Timo Boll schaut recht konsterniert.
ap Freud und Leid: Ma Lin dreht sich jubeln um, Timo Boll schaut recht konsterniert.

Beim 0:3 gegen China erhalten Deutschlands Tischtennis-Asse um Superstar Timo Boll Anschauungsunterricht. Freuen können sie sich aber über ihre Silbermedaille trotzdem.

PEKING Am Ende musste Timo Boll doch schmunzeln. Langsam ging er zurück an seinen Platz hinter der Bande und schaute hinauf die Ränge, wo die rund 7500 chinesischen Fans gerade aufgesprungen waren und einen Mordslärm veranstalteten. Christian Süß sagte später, es sei ihm in diesem Moment kalt den Rücken runtergelaufen: „Ich habe Gänsehaut bekommen.“

Auch Boll schien es nicht viel auszumachen, dass er mit Süß und Dimitri Owtscharow im Tischtennis-Mannschaftsfinale 0:3 gegen die Gastgeber verloren hatte. Eine erwartete Niederlage, eine deutliche. Eine, über die sich nicht ärgern mussten. Dafür waren sie zu chancenlos. Dafür hatten sie bei dieser Demonstration immerhin die besten Plätze. Direkt an der Platte. Direkt gegenüber den Unbesiegbaren.

Die Sporthalle in der Pekinger Universität war ein Tollhaus. Schon Stunden vorher zogen die Fans mit ihren roten Fahnen, Jacken und Stirnbändern über die Bei Sihuan Zhonglu, die 4. Ringstraße, in den Westen der Stadt, in die altehrwürdige Traditionsstätte. Am Tag des Dramas um ihren Hürden-Star Liu Xiang wollten sie sich wenigstens mit Gold in ihrem Nationalsport trösten. Und die Mannschaft tat ihnen den Gefallen.

Vergeblich hatte Timo Boll nach dem 3:2 am Samstag im Halbfinale gegen Japan noch gehofft, die Chinesen würden vielleicht am Druck zerbrechen. Dafür waren sie zu stark. Angetrieben von einem furiosen Publikum fieselte erst Wang Hao den bedauernswerten Owtscharow glatt in drei Sätzen ab, bevor Timo Boll kam. Der frühere Weltranglistenerste, der selbst vor zwei Jahren in China in der ersten Mannschaftsliga spielte, der in China verehrt wird, der gestern aber freilich die ganze Halle gegen sich hatte. Immer wenn ein vereinzelter deutscher Fan „Timo“ rief oder „Auswärtssieg“, brüllte gleich die ganze Halle „Jia You“, auf geht’s. Oben im zweiten Rang schrie sich ein Dutzend Hard- Core-Fans den Hals heiser, mitten in die Ballwechsel hinein, selbst als sie auf der Anzeigetafel um Ruhe baten. Nichts war es mit gesitteten Zuständen wie sonst in den olympischen Arenen, die wahren Tribünen-Ultras tummeln sich in China beim Tischtennis.

Sie machten auch Radau, als Boll gegen Publikumsliebling Ma Lin ran musste, ein recht extrovierter Typ mit großem Showtalent, der das Publikum immer wieder anstachelte. Boll gewann zwar einen Satz, mehr aber auch nicht. Und auch im letzten Doppel mit Christian Süß gegen das Duo Wang und Wang gab es noch ein 1:3.

Dann durfte sich das chinesische Trio von den Fans feiern lassen. Mitsamt ihrem Trainer Liu Guoliang, der gestern obendrein auch noch seinen zweiten Hochzeitstag hatte. Die deutsche Truppe schaute der Party andächtig zu, während selbst die sonst regungslosen chinesischen Kampfrichter des Weltverbandes ITTF in ihren blauen Jacken und den grauen Seidenkrawatten den Moment verewigten wollten und lächelnd ihre Digitalkameras zückten.

„Ich kann den Chinesen nur gratulieren“, sagte Boll danach. „Wir hatten gehofft, dass sie Nerven zeigen“, sagte Boll, „aber sie waren auch mental zu stark, sie haben einfach am Limit gespielt.“ Auch Richard Prause, der Bundestrainer, gratulierte und sagte: „Ich hatte gehofft, dass wir bei den Chinesen Schwachstellen entdecken. Aber die gab es nicht. Es war eher so, dass sie die Schwachstellen bei uns gefunden haben.“ Und trotzdem war es eine starke Leistung.

Stark will Boll auch weiter sein. „Ich trau mir im Einzel einiges zu“, sagte er, „ich denke, ich kann mich noch steigern.“ Als Boll um kurz vor 23 Uhr die Halle verließ, hatte er die Medaille immer noch um den Hals. Silber, das er gewonnen hatte. An diesem Tag war Gold zu weit weg.

Florian Kinast

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