Die Auer Dult von Peking

Der AZ-Reporter Florian Kinast fühlt sich „wie an Allerheiligen auf dem Ostfriedhof“ und wundert sich über Leute, die für windiges Plastikglump vor der Halle anstehen
von  Abendzeitung
...doch eine rechte Stimmung, gar Begeisterung, kommt eigentlich nur auf, wenn sie einen Landsmann erblicken. Ansonsten verhält man sich chinesisch zurückhaltend.
...doch eine rechte Stimmung, gar Begeisterung, kommt eigentlich nur auf, wenn sie einen Landsmann erblicken. Ansonsten verhält man sich chinesisch zurückhaltend. © AP

Der AZ-Reporter Florian Kinast fühlt sich „wie an Allerheiligen auf dem Ostfriedhof“ und wundert sich über Leute, die für windiges Plastikglump vor der Halle anstehen

PEKING Unentwegt schrien sie „Jia You!“, also „Auf geht’s!“ oder „Packmas“, und als Gewichtheberin Chen Xiexia am Samstag die erste Goldmedaille für den Gastgeber umgehängt bekam, da war die Euphorie grenzenlos. Inbrünstig schmetterten die 6000 Zuschauer die chinesische Nationalhymne. Und der westliche Betrachter fühlte sich in der Halle der Universität für Luft- und Raumfahrt in völlig anderen Sphären.

Schon am ersten Wochenende der Peking-Spiele wurde deutlich, dass hier eine ganz eigene Fankultur herrscht. Wenig begeistert war etwa Sonja Pfeilschifter. „Wenn wir Bundesliga haben, ist da ein Mords-Remmidemmi mit Tröten und Trommeln“, meinte sie, „aber hier lassen die Chinesen das nicht zu. Liegt wohl auch an ihrer Mentalität. Trotz der vollen Tribüne war da Totenstille.“ Der erste olympische Wettkampf, wie an Allerheiligen am Ostfriedhof. Viele Leute dort, aber kaum ein Mucks zu hören.

Auch draußen vor der Halle war’s ganz gesittet. Vor zwei Helfern mit fünf großen Kartons reihten sich die Menschen eine halbe Stunde lang schweigend in der Schlange auf, wie am Schnürl. Sie alle standen an, nur um einen der windigen kostenlosen Plastikfächer zu bekommen, die aussahen wie auf der Auer Dult. Beim Dosenwerfen, wenn die Kinder auch ohne Treffer einen Preis gewinnen und sich aus einem Körberl billiges Glump heraussuchen können. Made in China natürlich.

Zu ruhig war es auch Chris Kaman, beim 95:66 seiner deutschen Basketballer gegen Angola: „Die Leute klatschen nur, wenn was passiert.“ Und wenn ein Chinese Olympiasieger wird. Wie auch bei Pang Wei mit seiner Luftpistole, als die Tribüne der Shooting Range Hall bebte. Auch beim Beachvolleyball im Chaoyang Park gab es bei den 12000 Zuschauern Begeisterungsstürme. Und zwar nicht nur dann, wenn ihre Chinesen baggerten und schmetterten. „Wunderschön“, schwärmte der Österreicher Alexander Horst, „fantastisch, wie die Chinesen uns unterstützen.“ Sie fanden Freude an der für sie so ungewohnten Sportart.

So zitierte die „China Daily“ gestern auf Seite 6 Ma Deshan, einen 65-jährigen pensionierten Staatsbeamten, der sich auf der Tribüne am Anblick der jungen Frauen im Bikini zu erfreuen schien: „Das ist völlig neu für mich!“

Und fröhlich waren sie selbst beim Schwimmen, wo die chinesische Frauen-Staffel nur knapp Bronze verpasste, die Besucher aber trotzdem den Siegern aus Holland applaudierten. Hier ist es anders als bei den Spielen von Athen, als die Zuschauer durch Chauvinismus auffielen und die Gegner ihrer Griechen vehement auspfiffen. Es scheint, als sei die Welt tatsächlich willkommen in Peking.

Und auch wenn der Jubel, geordnet und gesittet, manchmal einstudiert wirkt, ist es doch angenehm, dass es keine Ausschreitungen gibt, keine betrunkenen Hooligans, keine Gewalt. Zumindest nicht im Stadion. Außerhalb des olympischen Sicherheitsbereichs gibt es sie schon.

Vor dem Pressezentrum demonstrierte am Samstag ein einsamer Chinese. Er beklagte seine Enteignung, den Abriss seines Hauses, das einer der olympischen Bauten weichen musste. Der Mann verteilte Flugzettel, Polizisten führten ihn davon. Ein Störenfried, der nicht erwünscht ist. Nicht in diesen olympischen Tagen.

Um Leute wie ihn von Olympia fernzuhalten, haben sie auch drei Meter hohe Sicherheitszäune aufgestellt, weiträumig die Straßen gesperrt, und auch der neue Olympiapark im Norden ist für die Bevölkerung nicht zugänglich.

Die Veranstalter sagten in den letzten Monaten immer wieder, es seien Spiele für die ganze Welt, für alle Völker der Erde. Mag schon sein. Nur sind es eben nicht Spiele für alle Chinesen.

Florian Kinast

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