Die Angst vor dem nächsten Absturz

Der Unterhachinger Marcel Nguyen kämpft an der Seite von Fabian Hambüchen um eine olympische Medaille – und gegen die Widrigkeiten der Technik
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Die jungen, deutschen Turner sind auf dem Weg, zu Stars zu werden. Marcel Nguyen gehört dazu.
Pereny/Augenklick Die jungen, deutschen Turner sind auf dem Weg, zu Stars zu werden. Marcel Nguyen gehört dazu.

Der Unterhachinger Marcel Nguyen kämpft an der Seite von Fabian Hambüchen um eine olympische Medaille – und gegen die Widrigkeiten der Technik

MÜNCHEN Das Unglück geschah letzten Donnerstag. Ohne Vorwarnung, einfach so, im Trainingsquartier in Kienbaum. Mitten im Schreiben einer E-Mail passierte dem Laptop das, was Marcel Nguyen selbst bei den Olympischen Spielen an den Geräten vermeiden sollte.

Er stürzte ab.

„Ganz bitter war das“, sagt Nguyen, „und das am Tag vor der Abreise nach Asien.“

Am Freitag flog der 20-Jährige mit den übrigen Turnern nach Japan ins letzte vorolympische Trainingscamp, Nguyen hatte viele Hoffnungen. Etwa, dass er dort jemanden findet, der sein kaputtes Notebook repariert. Vor allem aber, dass er dann in Peking wieder eine Medaille holt. Entweder im Einzel am Barren. Seinem LIeblingsgerät. Oder mit der Mannschaft.

So wie zuletzt bei der WM 2007 in Stuttgart.

Damals gewann der Sohn eines Vietnamesen und einer Münchnerin völlig überraschend Bronze mit der Mannschaft und sorgte so für ein kleines Spätsommermärchen. Auf dem Schlossplatz, der „Medal’s Plaza“, feierten die Menschen so wie beim Fußball auf der Fanmeile in Berlin, und wenn er zurückging ins Mannschaftshotel, dann liefen die Turner um ihn und Fabian Hambüchen an einem Spalier kreischender Mädchen vorbei.

Die Jungs turnten an.

Gefeiert wurden sie wie eine Boygroup. Poldi? Schweini? Fabi! Nguyi!

Turnen plötzlich als frisch entstaubter Trendsport, weg vom miefigen Turnhallenimage und schmerzhfaten Kniebeugendrill.

Auch international wurden sie aufmerksam. Die Fachzeitschrift „International Gymnast“, so etwas wie der „Kicker“ der Kunstturner, bat Nguyen im Dezember zum Interview, und da erzählte der vor allem über die traditionelle Weihnachtsfeier, daheim in Unterhaching. Wenn die ganze Verwandtschaft vom Vater aus Vietnam zu den Weißwürsten in Haching anrückt.

Unterhaching. Wo ihn die Mama mit vier Jahren zum ersten Mal zum Mutter-Kind-Turnen mitnahm, wo er mit sieben dann dem TSV beitrat. „Da, wo ich immer wieder gerne zurückkomme“, sagt Nguyen, „da ist einfach meine Heimat.“ Die Heimat, die er mittlerweile immer öfter vermisst.

Die meiste Zeit trainiert er inzwischen bei Trainer Gunter Schönherr am Olympiastützpunkt in Stuttgart, auch den Verein hat er längst gewechselt, von der Bundesligariege des FC Bayern wechselte er zum KTV Straubenhardt, dem Verein von Fabian Hambüchen. „Finanziell ist das eine ganz andere Größenordnung“, sagt Ulrich Hager, der Turnchef des FC Bayern, „mit dem Angebot der Schwaben konnten wir nicht mithalten.“

Aber kann Nguyen auch mit Hambüchen mithalten? Eher nicht. Auch wenn der Abiturient vom Isar-Gymnasium sagtsagt: „Ich bin schon nah dran am Fabian.“

Es fehlt ihm noch recht viel zum Reck-Weltmeister, zum derzeitigen Superstar der Turnszene, zum Werbeträger, der sich über seinen Manager Klaus Kärcher bereits zehn lukrative Sponsorenverträge gesichert hat.

Nguyen sichert sich finanziell derzeit über die Sportfördergruppe der Bundeswehr ab.

Und in der Turnbibel „International Gymnast“ war Hambüchen natürlich auch schon längst. Nicht einfach so, als Porträt. Sondern als Cover-Boy. Mit dem plakativen Titel: „Der Botschafter des Geräteturnens.“

Dass von Hambüchen jetzt alle erwarten, dass er nicht nur auf Seite 1, sondern auch auf Platz 1 steht, und dass der Botschafter jetzt auch Olympiasieger wird, ist Nguyen ganz recht. Das nimmt ihm den Druck. „Ich bin froh, wenn ich mich in Ruhe auf den Wettkampf vorbereiten kann“, sagt er. Meistens macht er das abgeschottet, allein mit sich und seinem Ipod.

Über Kopfhörer hört er dann immer Deutsch-Rap. „Das beruhigt mich, da kann ich mich dann immer am besten konzentrieren.“

Am 9. August geht Nguyen dann zum ersten Vorkampf. Samt Ipod. Hoffentlich stürzt der nicht auch noch ab.

Florian Kinast

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