„Deutschlands schwerste Prüfung“

Muhabbet aus Köln singt den türkischen EM-Song – und hofft, dass es am Mittwoch nicht zu Krawallen in deutschen Städten kommt .
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Muhabbet nahm mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier eine Single auf. Der Titel: "Deutschland".
dpa 3 Muhabbet nahm mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier eine Single auf. Der Titel: "Deutschland".
Muhabbet singt den EM-Song der Türkei.
az 3 Muhabbet singt den EM-Song der Türkei.
Muhabbet mit den Brüdern Hamit (links) und Halil Altintop.
privat 3 Muhabbet mit den Brüdern Hamit (links) und Halil Altintop.

Muhabbet aus Köln singt den türkischen EM-Song – und hofft, dass es am Mittwoch nicht zu Krawallen in deutschen Städten kommt .

Von Matthias Kerber

AZ: Muhabbet, es ist so weit, Deutschland und die Türkei treffen im EM-Halbfinale aufeinander. Sie haben mit „Oo Milli Takim Olé Olé" den EM-Song der Türkei geschrieben, und kurz zuvor mit dem „Deutschlandlied" für Furore gesorgt. Für wen schlägt nun Ihr Herz?

MUHABBET (MURAT ERSEN): Das ist so, als würde man mich fragen, wen liebst du mehr: Mama oder Papa? Für mich ist das ein Albtraumfinale. Seit 1996, als Deutschland Europameister geworden ist, bin ich vom Fußballfieber erfasst. Damals habe ich gemerkt, dass ich mit den Deutschen genauso mitfiebere wie mit der Türkei. Ich leide vor dem Fernseher wie ein Hund, wenn Deutschland spielt. Es schlagen zwei Herzen in mir. Keines schlägt lauter. Andererseits habe ich so das Glück, dass ich die doppelte Chance habe, Europameister zu werden. Egal, wer gewinnt. Im Finale steht mein Herzensteam auf jeden Fall.

Die Sprache ist jetzt schon davon, dass es nicht nur ein Halbfinale ist, sondern ein Spiel um die Ehre ist.

Ich kann mit dieser Terminologie nichts anfangen. Meine Eltern haben mich anders erzogen. Ich kann extrem konservative Haltungen nicht nachvollziehen. Aber ich weiß, dass viele Leute beider Seiten anders denken. Ich halte dieses Spiel für die schwerste Prüfung, die Deutschland in den letzten Jahren hatte. Und zwar nicht Deutschland, das Fußballland, sondern Deutschland, die Nation.

Das müssen Sie erklären.

Man wird an diesem Tag sehen, ob der Frieden auf den Straßen real ist, oder ob das Wort von Multikulti nur eine Fassade ist. Ich habe große Angst, dass es nach dem Spiel zu schweren Ausschreitungen zwischen Deutschen und Türken kommen kann, dass es eine Art Straßenkrieg geben wird. Auf beiden Seiten gibt es ganz viele Konsorten, die man mit Botschaften von Frieden, Toleranz und Miteinander nicht erreichen kann. Ich hoffe, dass an diesem Tag der gute Geist mit allen ist, dass wir alle zusammen eine große Party feiern können, egal, wer gewinnt. Das sagt mein Herz, mein Verstand aber sagt, dass es der schwerste Test seit langem für Deutschland wird. Ein Test, wie weit wir alle als Volk bereits zusammengewachsen sind.

Auch Sie hatten Probleme, Ihren Platz in der Gesellschaft hier zu finden.

Ich bin als ein Kind der unteren Mittelschicht groß geworden, meine Eltern hatten nicht viel Geld. Ich war aggressiv und orientierungslos. In meiner Jugend fühlte ich mich heimatlos, zerrissen. So, als gehörte ich nirgends dazu. Aber heute weiß ich, wie dumm diese Ansicht war. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist ein Geschenk, das mir in die Wiege gelegt wurde. Ich habe nicht keine Heimat, ich habe zwei Heimaten. Das bereichert mich und mein Leben. Es sind keine konträren Welten, sondern sich ergänzende.

Welche Klischees über Türken verletzen Sie?

Nicht Erkan und Stefan, dieses „Alter, voll krass, Mann"; das ist harmlos. Aber wenn wir immer nur mir Aldi-Tüten oder am Döner-Spieß dargestellt werden, mit Turban. Das ist nicht lustig oder intelligent, das ist provozierend, dumm und verletzend. Wir sind keine eingemummten Extrem-Islamisten. Und das Klischee-Bild, das nach dem 11.September verbreitet wurde, dass wir alle mit dem Messer zwischen den Zähnen rumlaufen und danach lechzen, Christen zu meucheln, das tat weh. Ich habe sicher nicht immer alles richtig gemacht oder gesagt. Es hat gedauert, bis ich so frei und gefestigt im Kopf war, dass ich sagen kann: Jedem Menschen ist es freigestellt, wie er seine innere Vernunft zusammenhält. Egal ob Christ, Moslem oder Buddhist, jeder soll nach seiner Facon glücklich werden. Die Grenze meiner Freiheit endet erst dort, wo ich damit die Freiheit anderer verletze.

Können Sie uns die türkische Volksseele ein bisschen näher bringen?

Wir sind sehr unterhaltsam, freundlich, warmherzig. Aber auch zurückhaltend anfangs. Es dauert etwas, bis wir miteinander warm werden, aber dann so richtig. Wenn die Tür zum Herzen mit einem Knirschen geöffnet wird, erkennen wir darin einen Rhythmus, und unsere Herzen fangen zu tanzen an. Wir sind sehr emotional, leider kann das mit einigen von uns auch total in die Hose gehen.

Wie kam es eigentlich zu Ihrem EM-Song?

Die Idee zu dem Song hatte mein Label Plak Music. Ich wurde dann eingeladen, mir ein Spiel der türkischen Nationalmannschaft in Istanbul anzuschauen, und das habe ich gemacht. Ich habe dann die Spieler kennengelernt, die Energie hat gestimmt, es waren alles Sympathieträger und ich kam mit vielen Ideen zurück nach Deutschland. Mein Produzent Ünal Yüksel hatte schon einen fetten Beat vorbereitet und zusammen haben wir das Stück dann geschrieben und zu Ende komponiert. Allein Rüstü zu treffen, der in der Türkei eine Ikone ist, war Wahnsinn. Ich hatte so Angst, dass er vielleicht mein Bild von ihm mit einer arroganten Bemerkung zerstören könnte. Aber das Gegenteil war der Fall. Er hat mich zum Tee eingeladen, wir haben gequatscht. Er war wie ein großer Bruder. Oder die Altintops. Besonders mit Hamit war ich sofort auf einer Wellenlänge, wir haben Nummern ausgetauscht und sind in regem Kontakt. Ich habe ihm auch schon gratuliert.

Und die Single „Deutschland“, die Sie mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier eingespielt haben?

Das war so toll. Er kam rein, hat die Ärmel hochgekrempelt, zog die Krawatte aus und hat mitgesungen. Okay, er wird keinen Grammy für die Gesangsleistung kriegen, wir mussten das schon nachbearbeiten, aber dass er es und wie er es gemacht hat, so menschlich, ohne Allüren, ohne Divengehabe, das war enorm.

Ihr Künstlername Muhabbet heißt übersetzt: intelligente, angenehme Konversation. Was bedeutet für Sie intelligente Konversation, wenn es um Deutschland und die Türkei geht.

Dass man sieht, dass es geschichtlich, aber auch kulturell und wirtschaftlich so viele Brücken gibt, die uns verbinden. Intelligente Konversation betont das Miteinander, nie das Gegeneinander, sie ist immer gewaltfrei. Ich hoffe, dass wir alle am Mittwoch intelligente Konversationen zwischen Deutschen und Türken erleben werde.

Der 23-jährige deutsch-türkische Sänger Muhabbet verbindet in seiner Musik arabeske Elemente orientalischer Popmusik und aktuellen R'n'B. Seine Liedtexte sind deutschsprachig . 2007 erschein sein drittes Album "In deinen Straßen".

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