Deutsche Lauf-Misere: Warum läuft nichts mehr?
Hary, Rosendahl, Schmid, Breuer oder Baumann: Einst rannten deutsche Leichtathleten in der Weltspitze und holten Medaillen. Hier liefern Stars von einst Erklärungen für die Krise von heute
London - Citius, altius, fortius – schneller, höher, weiter – so lautet das olympische Motto. Wenn man sich die deutschen Leichtathleten ansieht, muss dieses Credo verkürzt werden. Es geht um höher – etwa die Stabhochspringerinnen Silke Spiegelburg, Martina Strutz oder Weitspringer und Olympia-Fünfter Sebastian Beyer. Es geht auch um das Weiter. Da haben sich Diskus-Riese Robert Harting mit seinem Goldwurf oder Silber-Kugler Daniel Storl hervorgetan, Matthias de Zordo ist ebenso einer der Favoriten wie Christina Obergföll mit dem Speer.
Doch schneller? Das 200-Meter-Finale (Donnerstag, 21.45 Uhr) findet mit den Superstars Usain bolt und Yohan Blake, aber ohne Deutscher statt. Die Leistungen (oder das Fehlen ebendieser) der Deutschen Läufer sind erschütternd schwach. Egal, ob Sprint, Mittel- oder Langstrecke, schon die Finalläufe sind oft deutschenfreie Zone.
Hier ein Auszug von Olympia 2012: Verena Sailer scheitert im 100-m-Halbfinale, wird 15., über 200 und 400 m Hürden keine Starterinnen, Caro Nytra wird über die 100 m Hürden 21., Cindy Rohleder 18., Corinne Harrer kommt über die 1500 m auf Platz 17. Noch düsterer sieht es bei den Männern aus. Keine Starter über 100, 200 und 400 m, über 110 m Hürden scheiterten alle Deutschen im Vorlauf, über 800 m scheidet Sören Ludolph im Vorlauf als 39. aus, über 1500<TH>m kommt Carsten Schlangen auf Platz 11.
Doch das war nicht immer so. Das Land der Dichter und Denker war mal eine Nation der Sprinter und Läufer. Armin Hary sprintete 1960 zwei Mal zu Olympia-Gold, er war der erste Mensch der Welt, der die 100 Meter in 10 Sekunden lief. Heide Ecker-Rosendahl holte 1972 Olympia-Gold in der 4<TH>x<TH>100-Meter-Staffel. Annegret Richter gewann bei Olympia 1976 Gold (100 m) und zwei Mal Silber (200<TH>m, Staffel). Der DDR-Sprinter Frank Emmelmann hält mit 10,06 Sekunden seit 1985 den deutschen Rekord (Harys Zeit war handgestoppt). Katrin Krabbe war 1991 Doppel-Weltmeisterin (wenn auch 1992 des Dopings überführt).
nvergessen sind die Duelle von Harald Schmid über die 400 m Hürden gegen Edwin Moses. Schmid holte zwei Mal Bronze bei Olympia, zwei Mal WM-Silber (und ein Mal Bronze) in den 70er und 80er Jahren. Heike Drechsler holte 1988 zwei Mal Bronze, (100 m, 200 m) und WM-Silber 1987. 400-Meter-Ass Grit Breuer war Europameisterin, Weltmeisterin und Dritte bei Olympia 1996 (auch später des Dopings überführt). Mittelstreckler Willi Wülbeck holte bei der WM 1983 Gold, bei Olympia 1984 wurde er Vierter. Nils Schumann lief über die 800 Meter bei Olympia 2000 zu Gold, Thomas Wessinghage war Europameister, er hält seit 1980 den deutschen Rekord über 1500<TH>m. Dieter Baumann gewann über die 5000 m Olympia-Silber 1988 und Gold 1992 (wurde 1999 positiv getestet). Bis auf Doppel- Europameisterin Verena Sailer ist bei den deutschen Athleten im Laufbereich seit Jahren Ebbe angesagt. Das sagen die Stars von einst dazu:
Willi Wülbeck: „Das Phänomen, dass die Deutschen immer schlechter in den Laufdisziplinen werden, ist offensichtlich. Das ist ein psychologisches Problem, denn ich bin mir sicher, dass die Athleten gut trainieren, ihre Bestzeiten sind ja gut, aber sie sind nicht in der Lage, im entscheidenden Moment große Leistungen abzurufen. Es gibt Sportler, die unter Druck stark werden, und andere, die sich ins Schneckenhaus zurückziehen. Die jetzigen Athleten gehören eher zu zweiter Kategorie.“
Armin Hary: „Wir haben keine Siegertypen. Ein Siegertyp hat ein Ziel, von dem er sich nicht abbringen lässt, egal, was passiert. Außerdem hat die Leichtathletik in unserer Gesellschaft nicht mehr den Stellenwert. Wenn man weiß, dass ein Olympiasieger 15<TH>000 Euro Prämie kriegt, aber in anderen Ländern eine lebenslange Rente, dann sieht man, wo die Probleme liegen.“
Dr. Thomas Wessinghage: „Es gibt dafür viele Gründe. Die Leichtathletik hat es sicher versäumt, in der Öffentlichkeit so präsent zu bleiben, wie sie es vor 25 Jahren etwa war. Andere Sportarten wie Biathlon oder Skilanglauf haben sich hingegen dem Konsumverhalten der Zuschauer angepasst und sich etabliert. Dazu kommt die Dopingproblematik, die dazu führt, dass die Eltern ihre Kinder nicht mehr so zur Leichtathletik bringen. Man sieht, dass man etwa bei Crossläufen viele Teilnehmer in der Gruppe bis 10 Jahre hat, und dann wieder ab 45 Jahren. Dazwischen verliert man die Kinder leider für diesen Sport. Da gibt es Defizite in der Förderung und andere strukturelle Probleme. Ich fürchte, dass der jetzige Zustand der deutschen Läufer der jener ist, an den wir uns gewöhnen müssen, wenn man nicht grundsätzlich etwas ändert.“
Harald Schmid: „Es ist eine Entwicklung, die sich ja schon seit Jahren abzeichnet. jetzt ist man an einem Punkt angekommen, wo die Leistung der Deutschen einem schon gar nicht mehr im Herzen weh tut, weil man die deutschen Läufer oft gar nicht mehr sieht. Entweder sind sie nicht qualifiziert – oder sie scheiden sehr früh aus. Ich bin mir sicher, dass es weiter die Talente gibt, der Verband muss sich die Frage stellen, ob man alles tut, damit die Förderungen auch bei diesen Talenten ankommen.“
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