Der Weltmeister als Wasserträger
Kimi Räikkönen ist bei Ferrari nur noch zweiter Mann hinter Felipe Masse. Doch den Finnen kümmert’s nicht: „Es muss eben besser laufen“.
SPA Der Weltmeister gilt nicht nur als leiser Mann, er ist es. Seit er als Fünfjähriger mit dem Kehlkopf auf eine Tischkante geknallt ist, kriegt Kimi Räikkönen keinen klaren Ton mehr raus. In der Folge hat sich der mittlerweile 28-Jährige das Reden – zumindest in der Öffentlichkeit – so gut wie komplett abgewöhnt. Er fährt eben Auto – und zwar in der Formel 1 bei Ferrari. Das Problem an der Sache: Zuletzt fuhr er seinem Teamkollegen Felipe Massa nur hinterher. Der Brasilianer liegt vor ihm, dem amtierenden Champion und Titelverteidiger.
Dazu geäußert hat sich Räikkönen auch gestern nicht. Da ohnehin niemand brauchbare Sätze von ihm erwartet, schlenderte der Pilot, der zuletzt dreimal in Folge auf der Hammerstrecke von Spa dominiert hatte, so unbehelligt ins Fahrerlager wie Williams-Neuling Kazuzki Nakaijima. Statt Achtung vor seinen Glanztaten – immerhin 17 Grand-Prix-Siege – provoziert der Star nur noch das, was er ausstrahlt: Gleichgültigkeit.
Doch ausgerechnet ein Landsmann brachte zuletzt in Spanien auf den Punkt, welches Schicksal Räikkönen während des Rests der Saison drohen könnte. Nach dem triumphalen Sieg von Ferrari-Rivale Massa in Valencia hatte der in Finnland enorm populäre Keke Rosberg, Weltmeister von 1982, gesagt: „Wenn Kimi so weiterfährt, wird er bei Ferrari zum Barrichello." Also zu jenem Wasserträger, der Rubens Barichello einst von 2000 bis 2005 für Superstar Michael Schumacher war.
Beim Stadtrennen in Valencia war Eismann Räikkönen nach schwacher Qualifikation, müdem Start und lustloser Fahrt an sechster Stelle liegend mit Motorschaden ausgefallen. Tatsächlich ist der Finne schon jetzt die Nummer zwei im Traditionsteam von Maranello. Er hat im Jahr 2008 nur vier von zwölf Qualifikationsduellen gegen Massa gewonnen – und erst zwei Rennen. Der Brasilianer triumphierte hingegen viermal und liegt in der WM-Wertung mit 64 Punkten hinter Spitzenreiter Lewis Hamilton (70) auf Rang zwei. Räikkönen fehlen als Drittem bereits 13 Zähler. „Das ist viel“, gibt er zu, „aber voriges Jahr lag ich sogar 17 Zähler zurück, und das zwei Rennen vor Schluss. Ab jetzt muss es eben für mich besser laufen."
Dass er mehr für den Erfolg tun muss, ist ihm aber nicht bewusst. So bereitete er sich auf Valencia mit einer dreitätigen Bootstour vor, während sich Massa im Simulator auf die neue Strecke einschoss. Ähnlich war's in Kanada: Einer Kreuzfahrt folgte der Boxengassen-Unfall mit Hamilton. Danach zeigte er dem Briten – wie einem Erstklässler – die rote Ampel. Zuletzt in Valencia übersah Räikkönen dann selbst ein Rotlicht und fuhr einen Tankwart an. In Juni in Magny Cours kam er zehn Minuten zu spät zum Fahrerbriefing. In Budapest suchte er verzweifelt seinen Dienstwagen, den er zuvor in einer ausgeschilderten Zone geparkt hatte...
Räikkönens Nähe zum Abgründigen ist bekannt. In Australien musste er sich sogar offen auf ein mögliches Alkoholproblem ansprechen lassen. Seine ehrliche Antwort: „Was ich privat mache, ist meine Sache – und dabei bleibt es." Doch wo hört das Private auf? So quartierte sich der sture Einzelgänger in Monaco im Mai bewusst abseits des Mannschaftshotels ein. Im Rennen wurde er prompt von Adrian Sutil im lahmen Force-India gedemütigt. Schließlich fuhr Räikkönen dem Gräfelfinger ins Heck.
Es läuft nicht rund für Räikkönen. Weil er Probleme hat, seine Reifen für eine schnelle Runde auf Temperatur zu bringen haben ihn Ferraris Renningenieure schon bekniet, härter am Qualifikationsproblem zu arbeiten. Doch der Eismann aus Espoo stimmt sein Auto nur auf die Rennen ab.
„Ich bin enttäuscht von ihm“, sagt Toro-Rosso-Teamboss Gerhard Berger, ein ausgewiesener Raikkönen-Fan. „Er setzt keine Highlights mehr und muss aufwachen.“
Peter Hesseler