Der Striptease-Skandal

Halbnackte deutsche Fans erregen Schüttler – und Haas will die „großen Jungs“ ärgern. Tommy ist mit einer Klasse-Leistung und einem 6:3, 6:3, 6:4 gegen den Argentinier Eduardo Schwank in die Australian Open gestartet. Thomas Hogstedt, der Haas in Melbourne als Teilzeitcoach betreut, meinte: „In der Form werden sich hier einige die Zähne an Tommy ausbeißen.“
von  Abendzeitung
Hat die erste Runde in Melbourne glänzend gemeistert: Tommy Haas.
Hat die erste Runde in Melbourne glänzend gemeistert: Tommy Haas. © dpa

MELBOURNE - Halbnackte deutsche Fans erregen Schüttler – und Haas will die „großen Jungs“ ärgern. Tommy ist mit einer Klasse-Leistung und einem 6:3, 6:3, 6:4 gegen den Argentinier Eduardo Schwank in die Australian Open gestartet. Thomas Hogstedt, der Haas in Melbourne als Teilzeitcoach betreut, meinte: „In der Form werden sich hier einige die Zähne an Tommy ausbeißen.“

Nach seiner peinlichen 6:1, 2:6, 4:6, 4:6-Pleite gegen Dudi Sela aus Israel war Rainer Schüttler blitzartig verschwunden aus dem Melbourne Park. Wortlos. Vorher hatte er sich stimmgewaltig aufgeregt. Über die knallende Sonne und den Wind („Australien, Australien, Australien!“) – und über krakeelende Fans auf der Tribüne. Die sorgten für einem Striptease-Skandal bei den Australian Open. Einige ließen ob der großen Hitze sogar die Hosen runter, standen nur mit einem Slip bekleidet auf der Tribüne. Bis der Ordnungsdienst eingriff und sie vor die Alternative stellte: Anziehen oder Rauswurf! Die Fans blieben, Schüttler verabschiedete sich.

Entspannter ging’s da bei Tommy Haas zu. Auf den Mann mit der Platz-Nummer 79 wird man in Melbourne vielleicht noch gut aufpassen müssen. Auf den Mann, der aus der Tiefe der Rangliste bei den Australian Open für einige Unordnung sorgen könnte. Tommy Haas ist dieser Spieler auf Ranglisten-Platz 79, und in Melbourne ist er das, was sie in der Tennisbranche gern ein „dark horse“ nennen, eine unberechenbare Größe – entweder junge, hochtalentierte Spieler sind das, die jederzeit für einen großen Coup auf großer Bühne sorgen können. Oder eben einer wie Haas, der in Melbourne schon zwei Mal im Halbfinale stand, durch Verletzungen aus der Bahn geworfen wurde und nun einen neuen Anlauf zur Spitze nimmt, zurück in die Champions League. Haas mag die Nummer 79 sein, aber diese Nummer sagt wenig über seine echte Stärke aus – erst recht in Melbourne, bei dem Turnier, bei dem er so erfolgreich wie nirgendwo anders spielte.

6:3, 6:3, 6:4 hat Haas am Dienstag gegen den unbequemen Argentinier Eduardo Schwank zum Auftakt gewonnen, und das Beste, was man über den 31-jährigen Deutschen sagen konnte, war, dass nichts, aber auch gar nichts an seinem Spiel aussah, als hätte er gerade vier Monate pausiert und kein einziges Wettkampfmatch im Tourbetrieb bestritten. Haas spielte konzentriert, solide, souverän. Er ließ weder große Schwächen noch bedenkliche Zweifel erkennen, und vor allem nicht die Angst, dass wieder etwas Fatales mit seiner rechten Problemschulter passieren könnte. „Ich war tierisch nervös vor dem Spiel. Aber dann lief es richtig gut, viel besser als erhofft“, sagte Haas, der bei den US Open das letzte Pflichtmatch absolviert hatte. Der Schwede Thomas Hogstedt, der Haas in Melbourne als Teilzeitcoach betreut, sprach von einer „beeindruckenden Leistung“: „In der Form werden sich hier einige die Zähne an Tommy ausbeißen.“ In Runde zwei trifft Haas erst einmal als Favorit auf den Italiener Flavio Cipolla.

Nach seiner dritten Schulteroperation fühlt sich Haas nun auch irgendwie den Mühen des Alltags enthoben. Eher wie ein freischwebender Künstler will er künftig durch den Tourzirkus ziehen und dabei nicht zwanghaft auf Ranglistenplätze schauen: „Ich weiss, dass ich noch einige Siege in mir habe, wenn ich verletzungsfrei bleibe“, sagte Haas, „ich kann die großen Jungs noch ein bisschen ärgern.“ Und die sind schon bei den Australian Open gewarnt vor Haas, dem wahrscheinlich gefährlichsten Spieler mit einer solch hohen Ranglistennummer. Gut austrainiert ist Haas, nach intensivem Übungsprogramm in Las Vegas mit Fitneßguru Gil Reyes so drahtig wie nie, und jetzt hat er auch endlich wieder das Gefühl eines echten Sieges im Kopf, das Gefühl eines Grand Slam-Matchgewinns: „Du kannst tausendmal im Training gewinnen, das kann dieses Gefühl nicht ersetzen“, sagte Haas. Im Herbst hatte er für fast zwei Monate gar keinen Schläger angerührt, so wenig Tennis gespielt wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Tennis, sagt Haas, „ist immer noch mein Leben.“ Und mit 31 Jahren fühlt er sich auch noch nicht so alt, als dass er jetzt das Ticken einer auslaufenden Uhr hören würde. Bis Mitte Dreissig gibt sich Haas durchaus noch, immer unter der Voraussetzung, dass keine schweren Verletzungen auftauchen. „Noch eine Operation, noch ein Comeback – das wird es nicht geben“, sagte Haas, „dann höre ich lieber auf.“ Auch den Davis Cup hat Haas noch im Hinterkopf: Wenn er gebraucht werde, sagt er, stünde er durchaus zur Verfügung. Den Traum, wenigstens einmal ins Finale zu kommen, träumt Haas klammheimlich noch immer.

Ähnlich überzeugend wie Haas spielte auch die junge Berlinerin Sabine Lisicki auf, die abgebrüht wie eine erfahrene Spitzenspielerin die an Nummer 30 gesetzte Kanadierin Aleksandra Wozniak 6:4 und 6:3 besiegte. „Ich war furchtbar aufgeregt, habe die Nervosität aber schnell abgelegt“, sagte Lisicki, die nun gegen Lokalmatadorin Samantha Stosur antreten musste. Neben Haas und Lisicki, beide in unterschiedlichen Zeiten groß geworden im Florida-Trainingscamp von Nick Bollettieri, erreichten am Dienstag auch Tatiana Malek, Michael Berrer und Andreas Beck die zweite Runde.

Am anderen Ende der Gefühlsskale war am zweiten Tag die Nordhornerin Anna-Lena Grönefeld gelandet, die nach einer blamablen Vorstellung mit 1:6 und 4:6 gegen die Britin Elena Baltacha ausschied. „Ich habe den Ball nicht gefühlt. Ich wusste eigentlich überhaupt nicht, was ich gemacht habe“, sagte die bei den US Open noch so überzeugend ins Achtelfinale vorgepreschte Deutsche. Selbst einen 4:1-Vorsprung im zweiten Satz konnte Grönefeld nicht zu einer entscheidenden Wende nutzen. Kristina Barrois (Urexweiler/Saarland) verpasste trotz großartiger Leistung knapp die Sensation gegen Olympiasiegerin Jelena Dementiewa (6:7, 6:2, 1:6), Freude sich aber über eins der „stärksten Spiele meiner Karriere“.

Jörg Allmeroth

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