Der stille Machthaber
MÜNCHEN - Kein Trainer hatte in der Geschichte des FC Bayern mehr Machtfülle: Jürgen Klinsmann darf über seinen künftigen Verein entscheiden. Der Vorstand setzt die Pläne um – und verteidigt sie öffentlich.
Jürgen Klinsmann ist längst wieder in Kalifornien. Am Freitag war er bereits um 7 Uhr in der Früh von München nach Frankfurt/Main geflogen, drei Stunden später startete der Weiterflug in seine Wahlheimat nach Los Angeles.
Es war sein dritter Besuch nach seiner Präsentation als neuer Bayern-Trainer am 11. Januar. Klinsmann führte viele Gespräche. Mit den Bossen Rummenigge und Hoeneß, mit Noch-Trainer Ottmar Hitzfeld, mit dem künftigen Torwarttrainer Walter Junghans.
Der Tribünengast blieb stumm
In der Öffentlichkeit schwieg er. Klinsmann ließ lediglich ein paar Statements über die klub-eigene Homepage „fcbayern.de“ verbreiten. Ansonsten verpasste er sich einen Maulkorb. Selbst bei seinem Stadionbesuch des Uefa-Cup-Spiels am Donnerstag gegen Getafe (1:1) – obwohl sich die übertragenden Sender Sat.1 und Premiere intensivst um ein Interview bemüht hatten. Keine Chance. Klinsmann blieb stumm.
Doch das Echo auf seinen ersten Stadionbesuch fiel laut aus. Und wurde zum Sport-Thema des Wochenendes. Kapitän Oliver Kahn warf Klinsmann in der AZ „schlechten Stil“ vor. Der Zukünftige als Beobachter seiner Zukünftigen: „So etwas habe ich in meiner gesamten Karriere noch nicht erlebt“, schimpfte Kahn und resümierte: „Das macht man nicht. Wir sind auf dem Weg zu drei Titeln, da schadet jede Ablenkung.“ Klinsmann selbst rechtfertigte sein Verhalten nicht.
Das musste der Vorstand übernehmen. Am Sonntag erklärte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge in „Premiere“: „Die Mannschaft wusste gar nicht, dass Jürgen im Stadion ist. Sie kann sich also gar nicht gestört oder irritiert gefühlt haben.“
Rummenigge für Gelassenheit
Dennoch: Klinsmanns Besuch hat für Unruhe in der Mannschaft gesorgt. Schon allein durch die Bekanntgabe seiner Entscheidung in der Torwarttrainerfrage. Walter Junghans, seit einem Jahr im Verein, und nicht Bernd Dreher, seit 12 Jahren dabei, wird den künftigen Rentner Sepp Maier beerben. Dreher aber hat viele Freunde in der Mannschaft, sein persönliches Schicksal hat viele im Kader beschäftigt – und das einen Tag vor der Partie gegen Getafe. Rummenigge wollte beschwichtigen: „Wir tun deshalb alle gut daran, sehr gelassen mit der Sache umzugehen. Wir stehen sportlich gut da und sollten uns nicht eigene Probleme machen.“
Im Grunde ist Klinsmann kaum etwas vorzuwerfen. Es ist völlig legitim, dass er mit seinen Planungen und damit verbundenen Personalentscheidungen längst begonnen hat.
Die Bosse übernahmen den Job, die Beschlüsse zu moderieren. Und teilweise auch auszubaden. Die Schließung der Klubgaststätte Insider im Mai; die Ankündigung, die öffentlichen Trainingseinheiten zu reduzieren, die Torwarttrainerfrage, den Stadionbesuch: All das haben Rummenigge und Hoeneß öffentlich verteidigt. Weil Klinsmann, noch nicht im Amt, eben verabredungsgemäß schweigt.
„Ich werde mich bis zum 1. Juli zurückhalten", hat Klinsmann im Januar gesagt. Er hält sich daran. Und wird so zum stillen Machthaber. Kein Trainer hatte in der Geschichte des FC Bayern mehr Machtfülle.
Freie Hand beim Personal
„Selbstverständlich“ habe Klinsmann völlig freie Hand bei der Zusammenstellung seiner Gefolgsleute, sagte Hoeneß. Im Wintertrainingslager in Marbella hatte Hoeneß gesagt: „Was im Sommer ist, kann ich jetzt noch nicht sagen.“ Weil nicht einmal er sicher sein durfte, wie weit der Klinsmann-Clan noch wachsen wird. Zu Assistent Martin Vasquez und Teammanager Christian Nerlinger hat der neue Trainer letzte Woche noch Nick Theslof, einen Scout, vorgestellt. Hoeneß findet derlei Neuerungen spannend. Rummenigge sagte über Klinsmanns Vorgehensweise: „Jürgen möchte einfach alles professionalisieren.“
Zum Pokalfinale am 19. April gegen Dortmund, sollte er, auf Einladung der Bosse nach Berlin kommen. Doch Klinsmann hat abgelehnt. Schweigen ist Silber, Ruhe im Verein ist Gold.
Patrick Strasser