Der Stehauf-Schmitt: Ich bin mit mir im Reinen

Vor dem Start der Skispringer in die olympische Saison erinnert sich der Gold-Adler von 2002 an den Hype der RTL-Zeit, seinen Absturz und die Depressionen des Ex-Kollegen Sven Hannawald.
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Atemberaubende Perspektiven: Martin Schmitt bei der Arbeit.
dpa Atemberaubende Perspektiven: Martin Schmitt bei der Arbeit.

Vor dem Start der Skispringer in die olympische Saison erinnert sich der Gold-Adler von 2002 an den Hype der RTL-Zeit, seinen Absturz und die Depressionen des Ex-Kollegen Sven Hannawald.

AZ: Wer in den letzten Jahren mit Altstars wie Dieter Thoma oder Jens Weißflog sprach, hörte immer wieder: „Warum tut sich der Martin das noch an.“ Ja, warum eigentlich, Herr Schmitt?

MARTIN SCHMITT: Ich glaube, man kann ein härteres Los erwischen als Skispringer zu sein. Ich bin das mit Leib und Seele. Mir hat es einfach immer Spaß gemacht. Natürlich braucht es auch eine gewisse Leidensfähigkeit. Ich habe schwere Momente erlebt, in Zeiten, in denen wenig lief bei mir. Da verlierst du schon mal den Glauben an dich selbst. Aber ich habe halt nie aufgesteckt. Ich dachte mir, das ist nur eine Frage der Zeit, bis ich mein Potenzial wieder ausschöpfen kann. Und letzte Saison ist mir das ja wieder ganz gut gelungen.

Sie haben in all den Jahren nie an Rücktritt gedacht?

Nein. Das war nie ein Thema.

Wie viele TV-Interviews haben Sie dieses Jahr gegeben?

Hm. Darüber führe ich nicht Buch.

Vor genau zehn Jahren, da gab es eine Statistik, da waren es bei Ihnen 843.

Oh. So viele waren es jetzt sicher nicht.

Damals, 1999, begann der Hype ums Skispringen auch so richtig. RTL kaufte sich die Rechte, Sie wurden wegen Ihres neuen Schoko-Sponsors als „lila Popheld“ gefeiert. Es ging mehr um Entertainment als um Sport.

Ehrlich gesagt, ich denke da gerne zurück. Das war meine erfolgreichste Zeit. Da habe ich all die Träume, die ich als Kind hatte, verwirklichen können. Und mehr noch. Denn vieles hatte ich mir gar nicht erträumt.

War es nicht manchmal auch ein Albtraum?

Nein, wieso?

Die ganze Hysterie um Sie, das war doch grotesk.

Ach, ich habe über diese Sachen einfach geschmunzelt. Auch über diese ganzen Spitznamen, die man mir gab.

Drachen-Schmitt, Messerschmitt, Schmittchen Schleicher.

Das hat nun einmal dazu gehört. Und die Plakate von den Fans, die Kinderwünsche, ich hatte da immer die nötige Distanz dazu.

Wie viel mussten Sie als Held im Rampenlicht denn von Ihrer Intimsphäre preisgeben? Wenn RTL Ihre Mama beim Kuchenbacken filmte und den Papa beim Dart-Spielen?

Wenn du Leistungssport betreiben willst, dann muss du auch die Begleiterscheinungen in Kauf nehmen. Sonst bist du fehl am Platz. Mich hat das eher gefreut, dass viel los war. Sicher gab’s Momente, in denen es mir mit mehr Ruhe lieber gewesen wäre. Aber dann dachte ich mir, das wäre ja auch nichts. Wenn zu viel Ruhe da ist und keiner was von dir will, dann heißt das ja auch, dass du keinen Erfolg hast. Und ich hatte lieber den Erfolg und den Rummel dazu. Abgesehen davon, habe ich auch oft „Nein“ gesagt.

Echt?

Ja, natürlich. Ich habe damals wie heute meine Rückzugsgebiete gebraucht, und wenn die vom Fernsehen mich gefragt haben, ob sie das und das drehen können, dann habe ich oft gesagt, dass ich das nicht möchte. Das haben die dann ja auch akzeptiert. Das Nein-Sagen lernt man ganz schnell, wenn man als Leistungssportler so im Fokus steht.

Der Leistungssport, von dem es gerade nach dem Selbstmord von Robert Enke wieder hieß, dass er nur eine Scheinwelt sei.

Das ist doch im Fußball nochmal eine andere Hausnummer. Die sind am meisten im Blickpunkt, da geht es anders zur Sache. Der Erwartungsdruck ist da viel höher.

Mit Verlaub, Sie meinen, dass jemand wie Sie, der vor zehn Jahren schon mit Boris Becker und James Dean verglichen wurde, keinen Erwartungsdruck spürt?

Ich habe auch diese Dinge immer mit der nötigen Distanz verfolgt, habe das nie an mich herankommen lassen. Ich habe das in meiner ersten Saison ja auch gelesen: „Martin Schmitt, einer wie Boris Becker“. Aber ich habe das nicht ernst genommen, das war ja auch völlig übertrieben. Da musst du immer daran denken, wer du bist und wo du herkommst.

Lag es aber nicht doch auch an dem öffentlichen Erwartungsdruck, dass Ihre Leistung ab 2002 massiv nach unten ging?

Nein, das war nur eine sprungtechnische Geschichte. Wir hatten den Anschluss an die Weltspitze verloren, weil die Philosophie nicht mehr da war, mit der wir die großen Erfolge hatten. Ich wollte dann unbedingt etwas neues ausprobieren, aber das Probieren heißt ja nicht automatisch, dass man Erfolg hat. Das kann genauso gut in die andere Richtung los gehen. So wie bei mir. Leicht war das nicht.

Wem haben Sie sich in dieser schweren Zeit anvertraut?

Ich bin ja schon eher ein Typ, der sehr in sich gekehrt ist. Aber ich bin eben auf keinen grünen Zweig mehr gekommen, darum muss ich natürlich schon wegen der Technik viel mit meinem Trainer reden. Aber natürlich auch mit der Familie, den Eltern, der Freundin.

Hat Sven Hannawald mal mit Ihnen über seine Probleme gesprochen?

Nein. Nie.

Es kam also auch für Sie überraschend, als er seine Karriere wegen Depressionen beendete?

Ja. Er hatte nie mit jemandem darüber geredet, damit hatte dann auch keiner gerechnet. Wir haben in seiner letzten Saison schon bemerkt, dass er mit seiner Situation zu kämpfen hat. Dass er psychisch krank war, war uns aber allen nicht so bewusst.

Haben Sie schon über Ihr Karriereende nachgedacht?

Nein, nicht wirklich. Ich freue mich auf meine vierten Olympischen Spiele, danach möchte ich sicher noch zwei Jahre weitermachen. Den Rest werden wir sehen. Aber natürlich geht es jetzt in den Endspurt meiner Laufbahn, aber mit all den Höhen und Tiefen kann ich dennoch sagen, dass ich eine sehr glückliche Karriere hatte. Ich bin mit mir im Reinen.

Interview: Florian Kinast

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