Der sanfte Diktator
MÜNCHEN - Im Machtkampf mit Michael Ballack zeigt der Nationalcoach, dass niemand seine Härte unterschätzen sollte – auch nicht die großen Stars
Amüsant, wirklich amüsant. Wer ein wenig in den Netz-Archiven unter den Stichworten Löw und Ballack frühere Storys sucht, der stößt auf folgendes Zitat von Michael Ballack: „Joachim Löw ist immer ehrlich zu dir. Für einen Spieler ist das ganz wichtig, dann akzeptiert er auch unangenehme Entscheidungen.“ Gesagt hat Ballack dies während der EM im Sommer. Nach den Ereignissen der letzten Tage hat diese Aussage nun ein G’schmäckle, ein „högschdes“, wie Löw so gerne sagt.
Es herrscht högschde Alarmstufe. Unverhofft ist der Bundestrainer in den größtmöglichen Machtkampf geraten. In einen offenen, über die Medien ausgetragenen Konflikt zwischen dem höchsten Trainer des Landes und dem Kapitän der wichtigsten Mannschaft des Jahres. Löw gegen Ballack. Bundestrainer gegen Nationalelf-Kapitän. Ein Muskelspiel auf höchster Ebene. Es geht um mehr als Eitelkeiten. Um Karrieren. Um Jobs. Letztlich um die Perspektive des DFB-Teams für die WM 2010 in Südafrika.
Dann wäre Ballack auf sich gestellt. Alleine in einem Machtkampf, den er nicht gewinnen kann. Erstens, weil Löw die mächtigeren Unterstützer hat. „Wir müssen alles dafür tun, dass die Autorität von Löw nicht beschädigt wird“, sagte DFB-Sportdirektor Matthias Sammer. Und Verbands-Präsident Theo Zwanziger bekräftigte: „Jogi Löw ist für uns als Bundestrainer unverzichtbar. Daran gibt es gar keine Zweifel. Dieser Mann weiß, wo er hin will.“
Aus dem Sommermärchen wird ein Herbststurm
Fortschritt durch Wandel. Der liebe, nette Jogi mit den kuschligen Rollkragenpullovern und den stets stimmig ausgesuchten Schals, den gibt es noch – für die Fans, vor den Kameras. „Der Jogi ist der Jogi. Einfach ein guter Typ, smart, hat ein klasse Auftreten und schaut auch noch gut aus.“ So beschreibt ihn sein Berater Roland Eitel. Es ist Löws äußerer Schein. Nach außen weich und nach innen ganz hart. Da ist er der sanfte Diktator.
Was 2006 ein Sommermärchen war, droht zum Herbststurm 2008 zu werden. Schon bei der EM begann Löw, die Mannschaft aus der Lounge-Atmosphäre herauszureißen. Das Recht auf Stammplätze (Löw: „Es gibt keine mehr“), ein allgemeines Wohlfühlklima – passé. Löw hat den Darwinismus in der Nationalelf wieder eingeführt, ohne Rücksicht auf Namen und nun ohne Rücksicht auf Verluste. Der jammernde Kevin Kuranyi war der erste Verlust – sportlich fällt der eher gering aus. Torsten Frings könnte der nächste sein. Und Ballack, „momentan Deutschlands einziger Fußballer von Weltrang“ (Rekordnationalspieler Lothar Matthäus)?
Er versuchte den Königsmord und könnte das Prinzenopfer sein. Ballack sagt:„Ich freue mich, dass der Trainer wieder den Dialog mit mir sucht, und ich freue mich genauso auf unser Gespräch.“ Einen Termin gibt es noch nicht. Löw steht vor einer schweren Entscheidung. Nimmt er Ballack die Kapitänsbinde, wäre das eine Demütigung. Mit der Gefahr, dass der Gedemütigte dann ganz zurücktritt – sportlich höchst riskant. Denn Ballack ist sein wertvollster Spieler. Schweinsteiger, Trochowski oder Borowski können ihn nicht ersetzen. Und bei Pleiten ist wiederum Löws Job in Gefahr.
Im Spiel der Eifersüchteleien und Drohgebärden ist längst das Maß überschritten. Es geht nur noch darum: Wer lacht zuletzt?
Patrick Strasser