Der rote Waaahnsinn

"Der liebe Gott wollte einfach nicht, dass wir hier ausscheiden", sagt Oliver Kahn. Sein Sturmlauf brachte die Wende. In der AZ erklärt der Bayern-Torwart das Wunder von Getafe.
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Vorsicht, der Kahn kommt: Hier trifft es Mark van Bommel
dpa Vorsicht, der Kahn kommt: Hier trifft es Mark van Bommel

MÜNCHEN - "Der liebe Gott wollte einfach nicht, dass wir hier ausscheiden", sagt Oliver Kahn. Sein Sturmlauf brachte die Wende. In der AZ erklärt der Bayern-Torwart das Wunder von Getafe.

Geschlafen? „Wenig!“ Geträumt? „War ja wie im Traum.“ Oliver Kahn will sich noch einmal vergewissern. Und so greift sich der Bayern- Kapitän am Madrider Flughafen Barajas kurz vor dem Abflug der Sondermaschine zurück nach München die spanischen Sporttageszeitungen „AS“ und „Marca“. Kahn blättert, schaut die Fotos durch. Das Drama des Vorabends, dieses 3:3 nach Verlängerung beim FC Getafe, nacherzählt auf unzähligen Seiten.

Eine Zeitreise. Er schüttelt den Kopf, murmelt vor sich hin „ein Waaahnsinn“. Wenn Kahn das sagt, hat der Wahnsinn immer gleich drei „a“. Er schaut sich ins Gesicht. Kahn betrachtet den jubelnden Kahn, der beim Ausgleich zum 3:3 von Luca Toni in der 120. Minute den Mund wie in Edvard Munchs „Der Schrei“ aufriss und wie ferngesteuert quer über den Platz lief. „Ich bin durch jubelnde Bayern-Trikots- Menschen-Gesichter gelaufen“, erfindet Kahn neue Begriffe.

Ein Jubelnasenstüber

Mark van Bommel kam ihm in die Quere. Und eine mit – einen Jubelnasenstüber. „Was ehrlich?“, fragte Kahn den AZ-Reporter, „ich hab’ nichts mitbekommen.“

Das Tor hatte er mitvorbereitet: Per Kopfballduell kurz vorm gegnerischen Strafraum. Ein Foto zeigt, wie Kahn hochspringt. Die Spanier protestierten: Foul, ein Rempler? Kahn grinst. „Das war doch einwandfrei. Angelegter Arm! Wo soll denn das ein Foul sein?“ „Die Spanier kennen das nicht, dass der Torwart mitstürmt. Das hat sie wohl verunsichert“, meint Kahn.

Tränen in den Augen

Wie in Trance war er nach dem 3:3 in sein Tor zurückgelaufen. Rückwärts, mit leerem Blick. Und Tränen in den Augen. Kahn: „Ehrlich?“ Auf der Torlinie angekommen, setzte er sich. Von der Realität bezwungen, ermattet. Abpfiff. Bayern hat überlebt. Kahn fällt um, totmüde. „Ich war fix und fertig“, sagt er und betrachtet Pato, den Torhüter des Gegners. Ob er ihn getröstet hat, vielleicht per Trikottausch? „Nein, den musste ich in Ruhe lassen. Der war auch fix und fertig.“

Pato hatte Bayern mit dem Geschenk zurück ins Spiel gebracht, als er in der 115. Minute Toni den Ball vor die Füße fallen ließ. Kahn: „Ein Torhüteralbtraum.“

Genervt von den Abschiedsfragen

Wie das gesamte Spiel zuvor für ihn selbst. Alle Fotos schaut er sich an. Diese Gegentore! „Was sollst du da sagen?“ Machtlos war er. Ohnmächtig fühlte er sich, schicksalergeben. „Wenn es in Getafe zu Ende geht, geht es eben zu Ende“, hatte er vorher gesagt, er war genervt von den Abschiedsfragen. „Aber kaum einer hat geschrieben, dass ich dazu gesagt habe: ,Daran glaube ich nicht.’ Das ist es doch.“

Das ist Kahn. Immer-weiter- glauben. Immer-weiter-machen. Glaube versetzt Spiele. Aber ehrlich, Oliver, 1:3 in der Verlängerung, fünf Minuten vor Schluss, noch dran geglaubt? Nur, weil immer dran geglaubt werden muss? „Es gab einen Moment, da hab’ ich gedacht: Das war’s. Aber dann verdrängst du diese Gedanken.“

"Der liebe Gott wollte einfach nicht, dass wir hier ausscheiden"

Ein Automatismus. Er ist so trainiert. „Ich habe nach dem 3:2 gedacht: Jetzt geht noch was.“ Es ging, weil er nach vorne ging. „Der liebe Gott wollte einfach nicht, dass wir hier ausscheiden.“ Nun geht es weiter – nach St. Petersburg. „Undankbar“, sagt er, „aber wer weiß schon, was noch alles drin ist in diesem Jahr, im Schicksalstopf?“ Wieder etwas für die Geschichtsschreibung?

Kahn: „In zehn Jahren werden wir uns nicht über Barcelona (das 1:2 im Champions- League-Finale 1999 gegen ManU, d.Red.) unterhalten, sondern über Getafe.“ Es sprudelt aus ihm heraus: „Ich habe 140 Europacup-Spiele gemacht, aber das habe ich noch nie erlebt. Das ist halt Bayern München.“ Er sagt es. Das ist halt Oliver Kahn.

Patrick Strasser

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