"Der erste Titel als Vater" - Federer siegt in Melbourne

MELBOURNE - Locker und entspannt wie selten zuvor hat der strahlende Roger Federer seinen Titelhunger gestillt und ist bei den Australian Open zum 16. Grand-Slam-Sieg gestürmt.
Wie schon bei den US Open vor zwei Jahren fertigte der 28-jährige Schweizer den verbissen kämpfenden Andy Murray ab und feierte am Sonntag durch einen 6:3, 6:4, 7:6 (13:11)-Erfolg seinen ersten Major-Triumph als Vater. Das war zuletzt Graf-Ehemann Andre Agassi 2003 gelungen. „Yes“, schrie der Rekord-Champion durch das nur einen Spalt geöffnete Dach der Rod-Laver-Arena und reckte nach dem noch einmal spannenden Tiebreak jubelnd die Arme in den Nachthimmel über Melbourne.
„Der erste Titel als Vater – das ist ein ganz spezieller Tag heute für mich“, sagte Federer. Der Angriff der Jugend verpuffte, weil der 22-Jährige Brite dem variantenreichen Spiel des nun wie Agassi, Jack Crawford und Ken Rosewall viermaligen Australian-Open-Siegers nicht gewachsen war. Mit einem Preisgeld von 1,922 Millionen Dollar wurde Federer entlohnt, dem noch zwei Titel fehlen, um den führenden Roy Emerson einzuholen.
„Ich kann schon so heulen wie Roger, aber leider noch nicht so gut spielen“, sagte der ergriffene Murray und die Tränen flossen ihm übers Gesicht. „So war es bei mir im letzten Jahr“, meinte Federer. „Ärgere dich nicht, du bist ganz sicher einer der Spieler, die einen Grand-Slam gewinnen werden.“ Erster Trost des auf Platz drei der Weltrangliste gekletterten Murray war das stattliche Preisgeld, das halb so groß ausfiel wie das des Siegers.
Die britische Tennis-Nation war in Aufruhr, als Murray nach nur einem abgegebenen Satz ins Endspiel gestürmt war. Zeitungen und Fernsehsender schickten ihre besten Leute kurzerhand nach Melbourne. Einziger Auftrag: 76 Jahre nach dem letzten Grand-Slam-Sieg eines Briten durch den legendären Fred Perry den erhofften Triumph des Schotten Murray gebührend zu begleiten. „Andy ist ein armer Kerl“, hatte Federer angesichts des großen Drucks schon vorher gesagt und gescherzt: „Die Leute im Land von Wimbledon warten schon seit 150 000 Jahren auf einen Grand-Slam-Sieg. Und Andy soll ihn holen.“
Doch schon nach wenigen Ballwechseln deutete sich an, dass daraus wieder nichts werden würde. Murray war zu nervös und der Favorit überhaupt nicht zu Zugeständnissen bereit. Zwar gab der Eidgenosse ein frühes Break prompt und leichtfertig zurück. Doch am klaren Kräfteverhältnis änderte sich in den 161 Spielminuten nur ganz sporadisch etwas. Denn immer wenn es brenzlig wurde, verschärfte der Weltranglisten-Erste das Tempo und düpierte Murray damit.
Fünfter Titel für Serena Williams
Serena Williams hatte es tags zuvor im Endspiel der Damen erheblich schwerer, ihren fünften Titel zu holen. Bevor sie sich überwältigt vom Glück auf den Hartplatz fallen lassen konnte, musste sie gegen Rückkehrerin Justine Henin ihr ganzes Repertoire und großen Kampfgeist zeigen. Doch auch sie packte beim 6:4, 3:6, 6:2-Sieg im entscheidenden Moment ihre besten Schläge aus und schlug ihre zwölf Asse vorzugsweise, wenn es am wichtigsten war.
„Das war ein tolles Match und Justine hat mir alles abverlangt“, sagte die kräftige Amerikanerin, die das gleiche Salär wie Federer kassierte, während die erst Anfang des Jahres nach 20-monatiger Auszeit auf die Tour zurückgekehrte Justine Henin halb soviel bekam. Das zweite belgische Final-Wunder nach dem sensationellen US-Open- Sieg von Comeback-Mutter Kim Clijsters fand zwar nicht statt, aber die zierliche Wallonin meldete sich mit Nachdruck zurück. „Sie kann schon bald wieder die Nummer eins sein“, sagte Serena Williams, die jetzt zwölf Grand-Slam-Siege hat und auch kommende Woche Platz eins der Weltrangliste einnehmen wird.
Rekord-Jäger Federer machte nicht wieder den Fehler von vor fünf Monaten im Finale der US Open. Gegen den 21-jährigen del Potro ließ er sich die langen Grundlinien-Duelle aufzwingen und war ein ums andere Mal in die gefährliche Vorhand des Argentiniers gelaufen. Allerdings war Federer damals auch nicht in bester körperlicher Verfassung, weil er wegen seiner Hochzeit und der Geburt seiner Zwillings-Töchter keine Vorbereitungsturniere gespielt hatte.
In Melbourne war der Dominator topfit. Überdies war er gewarnt, denn Murray ist neben Rafael Nadal der einzige aus den Top-Ten, der gegen ihn eine positive Bilanz hat. 6:5 führt der Brite noch immer nach Siegen. Den ersten Grand-Slam-Titel machte ihm Federer, der in seine 268. Woche als Nummer eins geht, nun aber schon zum zweiten Mal zunichte. „Ich hoffe, irgendwann komme ich hierher und kann gewinnen“, sagte Murray und die Tränen flossen weiter. (dpa)