„Der Bua braucht Hilfe“
ZAHLING - Die Angst von Vater Bradl um Sohn Stefan. Ein Heimat-Besuch bei der Motorrad-Familie.
Zum Laden der Bradls geht es von der Hauptstraße links weg. Vorbei an Einfamilienhäusern und Doppelhaushälften. Vorbei an heruntergelassenen Jalousien und verwaisten Gehwegen. Vorbei an drei Gänsen, zwei Pferden, einem Misthaufen.
„Willkommen in der Pampa", sagt Helmut Bradl.
In seinem Motorradgeschäft. Am tiefsten Punkt von Zahling, Adresse „Im Thal 9". In dem 400-Seelen-Weiler, irgendwo zwischen Augsburg und Aichach, wo die Bradls ganz unten sind. In der Motorrad-Welt sind sie ganz oben.
Den ersten Sieg im Visier
So Sohn Stefan, der 18-Jährige, der in der Gesamtwertung der 125er-Klasse Vierter ist. Am Sonntag wurde er beim Heimrennen auf dem Sachsenring Zweiter, jetzt will er endlich den ersten Sieg und dann auch in der WM ganz vorne sein und sagt: „Ich will einen Platz besser sein als mein Vater.“ Das ist eindeutig, denn Helmut Bradl war 1991 mal Vizeweltmeister.
Am Montag war Helmut Bradl wieder daheim, jetzt sind vier Wochen Pause bis zum nächsten WM-Rennen vom Sohn Mitte August in Brünn. „Jetzt einmal ein paar Wochen daheim zu sein“, sagt der 46-Jährige und nimmt einen tiefen Zug aus seiner HB, „das ist wie Urlaub. Das dauernde Herumreisen langt mir. Am liebsten wär' ich nur noch hier." Aber er fährt halt doch mit.
Der Kampf im Haifschbecken
„Ich kann mein’ Buam doch ned allein lassn, da Bua braucht mich", sagt er und schaut zur Seite. Zu seinem Sohn auf dem Stuhl rechts von ihm: „Der Bua braucht doch Hilfe." Hilfe beim Existenzkampf im „Haifischbecken", wie Vater Bradl den ganzen Motorrad-Zirkus nennt.
Wo der Sohn bereits ans Karriereende dachte, weil sie ihn in den letzten zwei Jahren bei zwei Rennställen rausschmissen. Wo jeder sein monotones Leben lebt, Flug, Hotel, Training, Hotel, Rennen, Heimflug. Jeder allein für sich. Ein Ego-Trip um die halbe Welt, bei dem am Ende der als Weltmeister in die Heimat zurückkehrt, der, wie Bradl sagt, „die größte Sau“ ist. „Weil Freundschaften mit anderen Fahrern", sagt Stefan Bradl, „die gibt's nicht." Und darum hat er seinen Papa immer mit dabei. „Als einer, der mich schützen kann", sagt der Sohn.
Als Berater und Freund, als Mechaniker und Mentaltrainer. Natürlich habe er immer Angst, wenn der Bub fährt, sagt Helmut Bradl. In der Box schaut er dann immer auf die Monitore. „Und jedesmal, wenn ich seinen Namen seh' oder seinen Helm in der Grafik, dann weiß ich, er is noch dabei. Dann geht's mir besser.“ Bis zu den bangen Momenten bei der nächsten Zwischenzeit. „Es ist doch nur wichtig, dass ihm nix passiert", sagt Vater Bradl.
Passiert ist aber doch etwas in der Familie Bradl, etwas sehr schlimmes, und deswegen war die Stimmung in den letzten Monaten im Haus gedämpft. Passiert ist ein fürchterlicher Motorradunfall von Max Bradl, dem Bruder von Helmut.
"Ein Bradl halt"
Was für Stefan Bradl der Vater, war für Helmut Bradl früher der Max. Bei Helmuts Rennen war der Max immer dabei, als Schrauber an der Maschine, der auch die Seele wieder zusammenflickte, wenn Helmut in einer Sinnkrise steckte.
1993 machten dann beide den Laden auf, und für BMW war Max Bradl dann lange Testfahrer für die neuesten Maschinen. Bis zum 3. April.
Da war Max Bradl bei Dasing unterwegs, nur ein paar Kilometer von daheim, als ein betrunkener Autofahrer in einer Rechtskurve auf die Gegenspur raste und dort Bradl über den Haufen fuhr.
„Das linke Bein war nur noch Matsch", sagt Helmut Bradl.
Im Klinikum Augsburg amputierten sie den Unterschenkel, nun ist Max Bradl auf Reha. „Er ist ein Kämpfer", sagt Bruder. „er lasst sich nicht unterkriegen. Ein Bradl halt." Er packt seine Zigarettenschachtel und geht rüber in die Werkstatt. Ein Kunde will seine reparierte Kawasaki abholen.
Stefan Bradl bleibt noch lange sitzen. Er sagt, dass er heuer den Papa noch dabei haben will. In Zukunft, wenn er vielleicht Weltmeister ist, braucht er ihn nicht mehr. Dann kann er sich alleine wehren.
Als die größte Sau unter den Haifischen.
Florian Kinast
- Themen:
- BMW