"Der Athlet steht nicht mehr im Fokus"
MÜNCHEN - Tim Lobinger, Stabhochsprung-Routinier aus München, übt scharfe Kritik an den Funktionären.
Tim Lobinger kritisiert die von Spitzenfunktionären des Deutschen Leichtathletik- Verbandes (DLV) vor der Weltmeisterschaft im August in Berlin wieder aufgestellten Medaillenrechnungen. „Da wird gesagt, wir holen fünf bis sieben Medaillen. Das findet kein Athlet gut. Damit erzeugt man unnötigen Druck“, sagte der 36-jährige Wahl-Münchner. Dies sei ein Beispiel dafür, dass der Verband nicht umgedacht habe. „Man macht den Fehler, Hoffnung zu wecken und später womöglich wieder kleinlaut zugeben zu müssen, es ist nicht so gut gelaufen.“
Nicht ganz sicher ist Lobinger, ob nach dem Debakel bei den Olympischen Spielen in Peking, wo es für den DLV nur einmal Bronze gab, ein starker Auftritt der DLV-Athleten in Berlin wünschenswert wäre. „Ich denke, die WM kann ähnlich erfolgreich werden wie die 2007 in Osaka“, sagte Lobinger, der mit Blick auf die Zukunft jedoch zu bedenken gibt: „Wird die WM ein Misserfolg, würde sich in der deutschen Leichtathletik vielleicht etwas Entscheidendes ändern.“
Dazu könnte auch eine größere Anerkennung der Rolle des Athleten im DLV gehören. „Den Athleten nimmt man immer weniger ernst, er steht nicht mehr so im Fokus“, stellte Lobinger fest. „Es geht inzwischen mehr darum, wie kann man aus zehn Veranstaltungen acht und damit mehr Profit machen. Oder wie kann man einen neuen Sponsor finden, der mehr Geld gibt.“
Grundlegend geändert hat der Hallen-Weltmeister von 2003 und deutsche Rekordhalter (6,00 Meter) für das WM-Jahr seine Vorbereitung und Saisonplanung, um selbst in Berlin noch mal groß aufzutrumpfen. So will sich der „Vielflieger“ auf den Meetings unter dem Dach und im Freien bis zur WM rar machen. „Ich will Kraft sparen und mein Nervenkostüm schonen, um alle Energie zu haben, um mich für Berlin zu qualifizieren“, sagte Lobinger.
Nach einem „Salto nullo“ über 5,35 Meter in Göteborg kam er danach in Leipzig nur fünf Zentimeter höher. Am Samstag in Stuttgart und bei den Meetings in Düsseldorf (13.2.) und Karlsruhe (15.2.) sowie bei der deutschen Meisterschaft in Leipzig (21./22.2.) will er sich jedoch steigern. An Zuversicht, dass der Aufschwung kommen wird, fehlt es ihm nach einem „perfekten Wintertraining“ nicht.
Schließlich hat er im Trainingslager Neues gewagt. Eine 30 Meter lange, selbst gebaute Anlauframpe mit einem Neigungswinkel von 8 Prozent ermöglichte ihm, die Anzahl seiner Trainingssprünge in drei Monaten von 120 auf 300 zu steigern, weil die Ermüdung beim Anlauf reduziert wurde. „Dies zahlt sich nicht unmittelbar aus, sondern ist Schachspielen für den Sommer“, meinte Lobinger, der sogar wieder einen Sechs-Meter-Sprung für möglich hält. „Das Komische ist, in diesem Jahr bin ich von den Trainingswerten näher dran als in den Jahren, als ich sechs Meter gesprungen bin“, berichtete Lobinger, der 1997 und zuletzt 1999 diese magische Barriere überquerte.
Obwohl er noch bis zu den Olympischen Spielen 2012 in London weitermachen will, weiß er auch, dass ihm die Zeit davonläuft. „Ich denke, es wäre unrealistisch zu denken, ich lande in London 2012 den großen Coup“, so Lobinger. „Natürlich träumt man und hat eine Medaillenhoffnung, doch die ist nicht gewachsen.“ Auftrieb sollen ihm sieben Stäbe geben, die 21 Monate lang verschollen waren, in den USA lagerten und in der vorigen Woche endlich nach München zurückkehrten. Das Material soll ihm einen Katapult-Effekt im WM-Jahr geben: „Damit bin ich 2005 beim ISTAF im Berliner Olympiastadion 5,93 gesprungen.“
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