Der alte Mann will Mehr
WIEN - Spaniens Trainer Aragonés wird bald 70, gilt als Kauz und soll Spanien vom Verlierer-Fluch erlösen. „Wir können in Wien Geschichte schreiben!“, sagt er. Die Stärken und Schwächen des deutschen Endspiel-Gegners.
Der Wunsch von Bastian Schweinsteiger, er ging in Erfüllung. „Mir sind die Spanier lieber“, sagte der Münchner, „denn mit dem FC Bayern haben wir ja mit den Russen keine guten Erfahrungen gemacht.“ Und in Spanien, beim FC Getafe, haben die Bayern bekanntlich vergangene Saison ein kleines Uefa- Cup-Wunder geschafft. Gute Vorzeichen also fürs Finale der EM, für Deutschland gegen Spanien am Sonntag (20.45 Uhr, ARD live). Die AZ stellt den Finalgegner der deutschen Elf vor:
Die Stars
Lange Zeit hatten sie in Spanien keinen richtigen Helden mehr. Jetzt gibt es einen neuen Superstürmer, er kommt aus der Hauptstadt: Fernando Torres (24) vom FC Liverpool, Rechtsfuß, WM-Teilnehmer 2006 (drei Tore), aktueller Marktwert: 35 Millionen Euro. Torres spielte in der Premier League die Saison seines Lebens. Sie nennen ihn „El Niño“, das Kind, weil Torres aussieht wie ein harmloser Oberstufenschüler. Vor dem Tor ist er bislang auch harmlos, er hat erst einmal getroffen bei dieser EM. Sturmkollege David Villa (FC Valencia) dafür schon viermal, damit ist er der beste Schütze des Turniers. Der kleine Konterstürmer profitierte aber auch mehrmals von der exzellenten Vorarbeit durch Torres. Am Donnerstag allerdings verletzte sich Villa, sein Einsatz im Finale ist fraglich.
Zuschauen muss einer der ganz großen Stars schon während der gesamten EM: Raúl. Die Real-Legende – 102 Länderspiele, 44 Tore – wurde nicht nominiert. Begründung: Er sei mit 31 zu alt, passe nicht ins System.
Der Trainer
Luis Aragonés ist der älteste Trainer der EM, Ende Juli wird er 70. Jetzt will der alte Mann mehr, er will den Titel. Er ist ein Trainer, der sowohl von den Methoden als auch vom öffentlichen Auftreten so gar nicht dem Zeitgeist entspricht. Aragonés ist ein Kauz. Er wirkt manchmal wie ein strenger General, besonders auf dem Trainingsplatz. Da tritt er wie ein Feldherr auf, arbeitet mit Trillerpfeife und staucht seine Spieler zusammen.
Andererseits gilt Aragonés auch als Taktikfuchs mit psychologischem Feingefühl. „Aragonés ist für uns wie ein Vater“, sagt Villa. Der risikoreiche Verzicht auf Raúl hätte für Aragonés zum Bumerangwerden können. Wäre Spanien früh ausgeschieden, hätten die Fachblätter „Marca“ und „As“ den alten Coach ins Visier genommen. Nach der EM wechselt Aragonés wohl zu Fenerbahce Istanbul.
Die Taktik
Bisher bevorzugt der eigenwillige Coach ein spezielles 4–1-3-2-System. Wichtig ist dabei der gebürtige Brasilianer Marcos Senna, der als Zerstörer vor der Viererkette agiert. Prunkstück der Iberer ist das Mittelfeld. Meist beginnen die Barca-Stars Xavi und Iniesta in der Schaltzentrale. Zwei megaflinke Techniker mit eingebauter Kurzpass-Automatik. Will man Xavi abgrätschen, hat der sich längst um die eigene Achse gedreht und einen No-Look-Ball in die Spitze gespielt.
Ach ja, und dann ist da noch Cesc Fabregas, Edeljoker vom FC Arsenal.
Die Stärken
Die Primera División ist technisch sicher die stärkste Liga in Europa. Alle Spieler sind gut ausgebildet in punkto Ballbeherrschung, Mitnahme, Tempodribbling und One- Touch-Fußball. Das kommt auch der Nationalmannschaft zugute. Spanien ist zudem extrem ausgeglichen besetzt, es hat seine Stärken in allen Mannschaftsteilen. Hinten überragen Weltklasse-Keeper und Elfermetertöter Iker Casillas, im Mittelfeld hat sich David Silva (22/FC Valencia) in den Blickpunkt gespielt und vorne hat man mit Torres und- Villa, wenn er denn spielen kann, eines der besten Sturmduos der Welt.
Der Nationalstolz
Die spanische „Selección“ hat im Inland nicht den hohen Stellenwert wie etwa die deutsche Nationalelf hierzulande. In Spanien herrscht ein ganz besonderer Landesstolz, es gibt die Galizier, die Basken, die Kastilier, die Katalanen und die Andalusier. Dennoch, in den erfolgreichen EM-Tagen rücken die Spanier enger zusammen. „Estamos hartos“, sagen sie. „Wir sind es leid, immer die Prügelknaben zu sein!“ Camacho, Gordillo, Arconada, Butragueno, Raúl – niemand gewann einen Titel. Bei zig Turnieren galten sie als Geheimfavorit, fast immer war im Viertelfinale oder noch früher Schluss. Nur 1984 gelang mehr, da scheiterten sie erst im Finale an Frankreich.
Die 46 Millionen Spanier sind erwartungsfroh. Sie zittern mit, egal ob in Madrid, oder Saragossa, in Alicante oder Sevilla. Diesmal soll es klappen, mit dem zweiten EM-Titel nach 1964. „Wir wissen, wir können in Wien Geschichte schreiben“, meint Verteidiger Sergio Ramos.
Besonderheiten
Alle Experten sprechen von der großartigen Offensive der Iberer. Kau meiner lobt die Abwehr. Senna und Marchena haben vor allem gegen Italien Großes geleistet. Und dann ist da noch Carles Puyol, Barcas Abwehrchef. Der 30-Jährige wird von „As“ respektvoll als „katalanischer Koloss“ bezeichnet. An dem müssen Podolski, Schweinsteiger und Klose erstmal vorbeikommen.
Erik Wegener