"Deckel drauf und Schluss"

Didi Thurau weint um den Radsport, klagt die Funktionäre an und bangt um seinen Sohn Björn, der nichts anderes gelernt hat als Radfahren
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Nach der Tour freute er sich noch: Der geständige Dopingsünder Bernhard Kohl (links) mit Gesamtsieger Carlos Sastre und Cadel Evans
Roth/Augenklick Nach der Tour freute er sich noch: Der geständige Dopingsünder Bernhard Kohl (links) mit Gesamtsieger Carlos Sastre und Cadel Evans

Didi Thurau weint um den Radsport, klagt die Funktionäre an und bangt um seinen Sohn Björn, der nichts anderes gelernt hat als Radfahren

Von Matthias Kerber

AZ: Herr Thurau, der Radsport ist am Ende, ARD und ZDF werden die Tour de France nicht mehr übertragen, die Deutschland-Tour fällt flach. Tragen Sie Trauer?

DIDI THURAU: Ja, Sie können sicher sein, dass ich schon die eine oder andere Träne weggewischt habe. Aber ich verstehe die Entscheidung. Gerade die Fernsehsender haben dem Radsport immer wieder Chancen gegeben, aber man hat weitergemacht wie eh und je. Immer wieder standen die mit erhobenem Zeigefinger vor dem Radsport, immer wieder hat es ihn nicht interessiert. Man hat nichts dazu gelernt. Das Damoklesschwert schwang schon lange über dem Sport, jetzt ist es gefallen. Gut, der Fall Schumacher, der hat mich nicht überrascht. Wie der bei der Tour gefahren ist, so war der vorher noch nie unterwegs, das war eh dubios. Aber als dann auch noch der Bernhard Kohl erwischt wurde, da hat es mich vom Hocker gehauen. Das ist abstoßend, nur noch unglaublich.

Der Radsport in Deutschland...

... ist am Ende. Welcher Sponsor soll den jetzt noch so tolle Rennen wie „Rund um den Henninger Turm“ finanzieren? Das tut sich keiner an. Der Radsport lebt ja nur von zwei Dingen, Fernseh-Gelder und Sponsoren. Wir haben ja keine Einnahmen von Zuschauern, das ist anders als beim Fußball oder Tennis. Jetzt fallen die Fernsehgelder weg und damit auch der Anreiz für die Geldgeber. Die haben doch investiert, weil sie wussten, spätestens bei der Tour sind wir groß im Fernsehen, kriegen sozusagen kostenfreie Werbung. Jetzt ohne Fernsehen auch keine Werbung. Und welcher Unternehmer will schon sein Produkt mit Radsport beworben wissen? Der Radsport ist doch in der Öffentlichkeit synonym mit Doping. Im Moment denke ich, das war’s mit dem Radsport in Deutschland. Deckel drauf und Schluss. Es wird zumindest sehr lange dauern. Das ist ein absoluter Teufelskreis. Irgendwie erinnert mich das an ein Rettungsboot. Nur wollen die Leute nicht rein, sondern raus. Und einer springt und alle anderen folgen. Ich bin traurig, ich mache mir da auch ganz persönlich Sorgen, was dann aus meinem Sohn Björn werden soll.

Der ja selber Radprofi ist.

Ja, er fährt zwar für ein österreichisches Team, aber falls das aussteigen sollte, steht er auch auf der Straße. Und dann bei ausländischen Teams unterzukommen, das wird ganz schwierig. Björn hat ja voll auf den Radsport gesetzt. Er hat weder einen Schulabschluss, noch eine Ausbildung. Wenn das den Bach runtergeht, dann kann er gleich mal schauen, wie er mit Abendschulen einen Abschluss nachmacht. Das sind die Sorgen, die ich mir da im Moment als Vater mache. Ich bin wirklich sauer, dass die alle nichts dazugelernt haben.

Naja, auch Sie haben zu Ihrer aktiven Zeit gedopt, da war auch keine Einsicht da.

Ja, aber gegen das, was die heute machen, waren wir Chorknaben. Wir haben ein bisschen Amphetamine genommen und Anabolika, aber das war’s auch. Zum Glück habe ich auch keinerlei Nebeneffekte davongetragen, toi, toi, toi. Heute werden sonst was für Cocktails miteinander gemischt, Wahnsinn. Als ich das das erste Mal im Detail gelesen habe, da hatte ich nur Angst um meinen Sohn. Und Erleichterung, dass wir das damals nicht machen mussten. Mit Eigenblut spritzen und allem drum und dran. Mir will nicht in den Kopf, das man das mitmacht.

Winston Churchill sagte ja schon: „Sport ist Mord“.

Oder eher Selbstmord. Die haben jetzt den Sport, ihre Lebensgrundlage für sich und viele anderen zerstört. Viele, die ganzen Betreuer etwa, die werden jetzt in der Arbeitslosigkeit enden.

Sehen Sie Schumacher und Kohl als die Totengräber des Radsports?

Ich bin extrem sauer auf die, aber nicht nur die. Die waren doch nicht die einzigen. Glauben Sie, die anderen sind mit Wasser und Brot gefahren? Die hatten nur andere, neuere Mittel, die eben nicht festgestellt wurden. Ich denke, es wird eine Ewigkeit dauern – wenn überhaupt – dass der Radsport wieder eine Rolle spielt. Das Problem ist doch, dass einem keiner mehr irgendetwas glaubt. Wie oft haben wir denn schon das Wort Neuanfang gehört?

Gefühlte 237 Mal.

Eben. Immer wieder ein neuer Neuanfang. Und dann, immer wenn man denkt, die haben vielleicht doch was kapiert, folgt der nächste Hammer. Und wieder ein Neuanfang und wieder ein Hammer. Das ist doch eine Endlosschleife. Wenn man einen Neuanfang macht, dann müssen auch neue Gesichter her. Auf allen Ebenen, Fahrer, Manager, Teamdirektoren. Mich ärgert zum Beispiel dieser Holczer, der Chef von Team Gerolsteiner, ungemein. Der tut jetzt so, als habe er von Doping nie was mitgekriegt. Hallo, der ist jetzt auch seit zehn Jahren dabei, da will er nichts mitgekriegt haben? Das kann ich mir nicht vorstellen, beim besten Willen nicht.

Im Radsport waren die drei Affen ja schon immer Idole. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

So war es immer, aber so geht es nicht weiter. Sonst ist der Deckel wirklich zu.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.