Davis Cup: Triumph gegen Austria mit Kohlkopf und Banane
GARMISCH-PARTENKRICHEN - Aus dem Krankenstand zum Matchwinner. Nicolas Kiefer schlägt beim 3:2 gegen Österreich Jürgen Melzer, 7:6, 6:4, 6:4 und sorgt mit dem 3:1 fürs deutsche Tennis-Team für die Vorentscheidung. Nun geht's gegen Spanien.
Aus dem österreichischen Fanblock drangen an diesem langen Davis Cup-Wochenende recht hartnäckig, recht liebevoll und recht lautstark die Schmährufe auf den Centre Court. Philipp Kohlschreiber wurde von der rot-weiss-roten Fraktion als „Kohlkopf“ verulkt, Nicolas Kiefer (Spitzname Kiwi) bekam sein Fett als „Banane“ oder „Gurke“ ab – und Patrik Kühnen, der Chef der deutschen Mannschaft, hatte schnell den Brandbegriff „Oberpiefke“ weg. Genutzt hat das stimmungsvolle Kulissentheater am Ende wenig, denn als am Sonntagnachmittag im Nachbarschaftsduell zwischen Deutschen und Österreichern abgerechnet wurde, im Eisstadion zu Garmisch, da hatte Kühnens Elf ein anfangs verloren geglaubtes Spiel entschlossen und leidenschaftlich gewendet, einen Viertelfinalplatz in der Tennis-Champions League erstritten und ein bitteres Relegationsspiel im Herbst vermieden.
Das Drehbuch des deutschen Sieges war eine perfekte K. und K.-Produktion, drei Siegerpunkte bis zum vorentscheidenden 3:1, die sich Philipp Kohlschreiber und Nicolas Kiefer schiedlich und friedlich teilten – Kohlschreibers verwegener, geglückter Aufholjagd am Freitag gegen Melzer folgten am Samstag der Doppelsieg von Kohlschreiber und Kiefer gegen die Kombination Knowle/Peya (6:3, 7:6, 3:6, 6:4) und Kiefers 7:6 (7:3), 6:4, 6:4-Sieg am Sonntag gegen Melzer. „Großartig, wie Kiwi diese Aufgabe nach der langen Verletzungspause gemeistert hat. Das war ein großes Comeback“, sagte Kühnen, der dem Niedersachsen sofort nach dem verwandelten Matchball um 15.37 Uhr freudetrunken in die Arme fiel. Als genau so richtig wie die Berufung von Kiefer und Kohlschreiber ins Doppel hatte sich auch Kühnens Auswechslung von Schüttler gegen Kiefer für das Spitzeneinzel erwiesen, so war es nach all den anfänglichen Querelen und Auseinandersetzungen auch ein wichtiges Erfolgserlebnis für den Davis Cup-Boß. Im letzten Einzel schenkte Kühnen dem aus dem Doppel verbannten Christopher Kas noch sein Davis Cup-Debüt, der Trostberger verlor allerdings glatt mit 2:6, 3:6 gegen Stefan Koubek zum 3:2-Endstand.
Der hart erkämpfte Erfolg gegen die unbequemen Gäste aus der Nachbarschaft war allerdings nur ein harmloser Vorgeschmack auf das, was dem deutschen Team im Juli, ein Wochenende nach Wimbledon (10. bis 12. Juli), bevorsteht: Wie im vergangenen Jahr in Bremen ist dann die gegenwärtige Tennis-Führungsmacht Spanien der Gegner – auswärts gehen die Deutschen als krasser Aussenseiter ans Hand-Werk gegen den Titelverteidiger mit seinen Stars Rafael Nadal, David Ferrer, Fernando Verdasco oder Feliciano Lopez. An diesem Wochenende hatten die Spanier aus der vermeintlich heiklen Angelegenheit gegen Serbien in Benidorm einen lockeren 4:1-Spaziergang gemacht, der Weltranglisten-Dritte Novak Djokovic gewann gegen die wie entfesselt aufspielenden Protagonisten Nadal und Ferrer keinen einzigen Satz. „Das wird wohl ein bisschen härter, aber wir fahren nicht da hin, um zu verlieren“, kündigte Kiefer an.
Bei aller Wertschätzung für Kohlschreiber und Kiefer: Der beste deutsche Mitarbeiter an diesem Wochenende war Österreichs Spitzenmann Jürgen Melzer. Der gebürtige Wiener gab gegen Kohlschreiber bei einer 7:6, 6:4 und 4:2-Führung das Spiel aus der Hand, dann trat er am Samstag zum Entsetzen seines Teamchefs und seiner Kollegen nicht zum Doppel an, und im Auftakteinzel am Sonntag verlor Melzer so ziemlich jeden Big Point im Ringen mit Kiefer. „Er muss sich nicht wundern, wenn er daheim als Buhmann gilt“, sagte ORF-Kommentator und Ex-Profi Alex Antonitsch. Mit einer SMS hatte Melzer seinen langjährigen Doppelpartner Knowle in der Nacht zum Samstag davon in Kenntnis, das er nicht im Doppel spielen werde. Entsprechende Berichte quittierten österreichische Fans in Internetforen mit der Ankündigung, „kein einziges Match“ mehr von Melzer sehen zu wollen.
Bemerkenswert war gleichwohl auch Kiefers Rückkehr ins Spitzentennis, nachdem er sich Anfang Januar bei der inoffiziellen Mixed-WM im australischen Perth einen doppelten Bänderriß zugezogen und anschließend bis Garmisch kein einziges Pflichtspiel mehr bestritten hatte. Kiefer war der bessere unter zwei guten Deutschen im Doppel, und am Sonntag zeigte er gegen Melzer jene Qualitäten, die ihn vor einer kleinen Tennis-Ewigkeit zu einem Top Ten-Spieler gemacht hatten. Mit Aufschlägen im Formel 1-Tempo, blitzsauberen Kontern aus der Defensive und präzise vorbereiteten Netzattacken dominierte er das Spiel gegen Melzer, der seine Nerven nach der Kohlschreiber-Pleite vom Freitag auch nicht mehr in den Griff bekam.
Nach dem Gewinn des ersten Satzes im Tiebreak nahm Kiefer seinem Rivalen einmal ganz früh, im zweiten Satz, und einmal ganz spät, zum 5:4 im dritten Satz, den Aufschlag ab. Beide Male verteidigte er den Vorsprung souverän, anders als in so vielen anderen Spielen unter schwarz-rot-goldener Flagge. Zum zweiten Mal nach 2001, nach dem Spiel der Deutschen gegen Rumänien in Braunschweig, stellte Kiefer am Sonntag den Sieg sicher – damals hatte er sogar das allerletzte Einzel gegen Gabriel Trifu zum 3:2 gewonnen. „Davis Cup-Spiele sind Feiertage“, sagte Kiefer später, als ihm gerade seine Eltern Wolfgang und Nicole tränenreich zum Sieg gratuliert hatten.
Vielleicht wird es in späten Karrierejahren nun doch noch eine richtige Liebesbeziehung – der Davis Cup und Kiefer.
Jörg Allmeroth