Das sagt Henry-Maske über Klitschko
Seit acht Jahren ist Wladimir Klitschko bereits Weltmeister. In der AZ spricht Deutschlands Box-Ikone Henry Maske über die Stärke des Champions, aber auch seine Schwächen.
AZ-Interview mit Henry Maske
Der 50-jährige Box-Olympiasieger (1988) war von 1993 bis 1996 Profi-Weltmeister im Halbschwergewicht, dann beendete er die Karriere. 2007 kehrte er für einen Comebackkampf gegen Weltmeister Virgil Hill zurück – und gewann. Danach trat er endgültig ab.
AZ: Herr Maske, am Samstag schickt sich mal wieder einer an, am Thron des Schwergewichtskönigs Wladimir Klitschko zu rütteln. Was trauen Sie denn seinem Herausforderer Kubrat Pulev zu?
HENRY MASKE: Pulev ist ein echter Kerl, einer, der vor der Herausforderung nicht zurücksteckt. Das sehen vielleicht nur Experten, aber er gehört zu der Art Boxer, die nicht die Augen zumachen, wenn der Gegner schlägt, sondern in diese Aktion kontern. Das erfordert Mut, ein Kämpferherz, Ringintelligenz. All das hat Pulev, daher denke ich, dass er wirklich der schwerste Gegner ist, den es im Moment für Wladimir gibt. Sie haben viele seiner Kämpfe gesehen. Ich beobachte Pulev schon lange, er ist wirklich gut. Aber den Vorwurf, den ich ihm mache, ist, dass er in seinen Kämpfen zwar immer besser war als all seine Gegner, aber oft der Klasse des Gegners entsprechend nur angepasst besser war. Das heißt, er hat die Kontrahenten nicht derart dominiert, wie er es von seinen Fähigkeiten und Anlangen her könnte, sondern er war damit zufrieden, zu gewinnen. Das war ökonomisch, aber er hat dadurch nie das Signal an die Welt und an Klitschko gesendet: Hier bin ich, ich bin der Mann, den es zu schlagen gilt, wenn du wirklich der Beste der Welt sein willst. Seine Kämpfe waren öfters eher ein 1:0 als ein 7:1. Als Boxer ist man im gewissen Maße auch Entertainer. Es geht nicht ausschließlich um den Sieg, sondern auch darum, dass die Leute zu einem aufschauen. Das kann man nicht in jedem Kampf, das weiß ich aus eigener Erfahrung, aber man sollte zumindest immer angeschaut werden, und es nie dazu kommen lassen, dass die Leute auf einen herabschauen.
Ist Pulev bereit?
Die bombastische Klitschko-Entertainment-Inszenierung um Dr. Stahlhammer ist ja noch einmal eine andere Dimension als jeder normale WM-Kampf. So sieht es aus. Und ich bin immer wieder erstaunt, nein, sogar erschüttert, wie wenig sich viele Boxer vor einem Kampf mit dieser mentalen Ausnahmesituation auseinandersetzen. Wenn man Wladimir so sieht, ist er ein großer Mann, aber wenn er dann im Ring vor dir steht, diese Muskelpakete sieht, diese Aura der Entschlossenheit, dazu noch den finsteren Blick von Bruder Vitali im Hintergrund, da sieht man oft bei den Kontrahenten, wie sie sich denken: Oh, mein Gott, worauf habe ich mich da eingelassen? Frei nach dem Motto: Wo bitte ist hier der Ausgang? So sieht es aus. Das kann man richtig spüren. Wenn dich dann die Führungshand das erste Mal erwischt, sie dauernd in deinem Gesicht herumstochert und du diese Schlaghand siehst, die darauf wartet, dich zu treffen, das sind Momente, auf die man sich vorbereiten muss. Und glauben Sie mir: Diese Schläge tun weh. Ich bin überzeugt, dass das Schmerzempfinden bei den Boxern aller Gewichtsklassen in etwa identisch ist. Es ist aber ein enormer Unterschied, ob dich ein Schlag von einem 70-Kilo-Mann trifft oder eben von einem Klitschko mit 110 Kilo. Ich kann mich noch genau erinnern: Ich habe früher oft mit Axel Schulz trainiert, als er noch ein angehender Schwergewichtler war. Und eines Tages war er dann ein gestandener Schwergewichtskämpfer. Plötzlich war es vollkommen egal, ob ich schneller oder technisch versierter war, er hat mich getroffen. Ich werde auch nie diesen Schlag vergessen, als er mich mal richtig erschüttert hat. Da war mir klar, oft geht das nicht gut. Und dabei war Axel ja eher nicht der mutigste Boxer.
Und nicht gerade schlagstark.
Richtig. Aber es tat trotzdem richtig weh. Und gerade bei Klitschko muss man sich auf diese Wucht einstellen. Worte zählen nichts. Wir alle erinnern uns noch, wie David Haye mit seinen großen Sprüchen daherkam und alle dachten, er könnte Wladimir Probleme bereiten. Doch die Realität war die, wie in allen Kämpfen: Es war wie ein Papa, der mit seinem kleinen Jungen an der Hand in den Ring steigt, der ihn führt, vorführt – und der sich dabei noch nicht mal verausgaben muss.
Der Haye-Kampf war ein Statement von Wladimir. Wenn er Pulev ähnlich dominieren kann, gibt es da draußen keine echten Herausforderer mehr, dann kann Wladimir das Schwergewicht noch jahrelang dominieren. Und zwar nach Belieben!
Sie waren als Ringfuchs bekannt, sagen Sie uns doch mal, wie man Klitschko besiegen kann.
Das ist schwer, denn er hat aus den schmerzlichen Erfahrungen seiner Niederlagen gelernt und sich zu einem nahezu kompletten Boxer entwickelt. Man muss ihm den Raum nehmen, um den Kampf zu dominieren, die Schläge kontern, ihm keine Zeit geben, sich neu zu sortieren. Man muss ihn systematisch zerstören, das Selbstvertrauen wie ein Haus Stein um Stein abreißen. Ihn dazu zwingen, zu reagieren, nicht zu agieren. Ob einem das gelingt, ist eine andere Frage.
Sie sprachen das Selbstvertrauen an.
Im Kampf wirkt Wladimir durch seine Klammerei teilweise nicht so dominant, wie er eigentlich ist. So sieht es aus. Wenn er dann nach hinten springt oder sich auf den Gegner legt, dann sieht das nicht immer souverän aus. Hektisch, fast panisch. Er zeigt da manchmal Unsicherheiten, die seiner eigentlich nicht würdig sind und das meine ich als Kompliment für ihn. Er ist viel besser, viel überlegener, als er in diesen Momenten dann zuweilen wirkt.
Das war bei seinem Bruder Vitali immer ganz anders.
Absolut! Die Ausstrahlung ist eine ganz andere. Bei Vitali wusste man, er geht nach vorne mit breiter Brust, wenn es sein muss, marschiert er durchs Feuer. Dieses Selbstverständnis hatte er immer schon. Das wird Wladimir in dieser Art wohl auch nie mehr entwickeln. Denn Vitali hatte das in Wladimirs jetzigem Alter schon lange, schon viel früher. Wladimir wird im Verhältnis der beiden wohl immer der kleine Bruder bleiben. Der Kesse, der Freche, der mit vielem davonkam, der aber auch wusste, wenn es darauf ankommt, hält der große Bruder schützend die Hand drüber. Aber ich denke, dadurch, dass Wladimir jetzt Vater wird, wird er noch reifer, noch erwachsener, noch verantwortungsbewusster werden. Es heißt, man kann lernen, ein Boxer zu sein. Aber als Kämpfer wird man geboren, das kann man nicht lernen.
Ist Wladimir ein Kämpfer?
Ich würde sagen, er hat es gelernt. Und es ist vielleicht die größte Leistung, etwas zu lernen, was am Anfang noch nicht so ausgeprägt vorhanden war. Ich habe da jedenfalls den größten Respekt vor Wladimir.
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