Das preisgekrönte AZ-Interview

Für dieses Interview mit Leichtathletik-Legende Edwin Moses für nun AZ-Reporter Matthias Kerber der Laureus Medien Award 2009, der Sport-Oscar, verliehen.
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Ein Duell, das die Leichtatheltik-Welt begeisterte: US-Star Edwin Moses (r.) und sein Dauerkonkurrent Harald Schmid.
Bongarts/Getty Images Ein Duell, das die Leichtatheltik-Welt begeisterte: US-Star Edwin Moses (r.) und sein Dauerkonkurrent Harald Schmid.

MÜNCHEN - Für dieses Interview mit Leichtathletik-Legende Edwin Moses für nun AZ-Reporter Matthias Kerber der Laureus Medien Award 2009, der Sport-Oscar, verliehen.

Es war im August 2009 während der Leichtathletik-WM in Berlin. Die Abendzeitung präsentierte jeden Tag ein ganzseitiges Interview mit einem hochkarätigen Star der Leichtathletik. Eine der Protagonisten war Leichtatheltik-Legende Edwin Moses, der in der AZ Stellung bezog. Jetzt wurde das Interview mit dem prestigeträchtigen Laureus-Award, einer Art Sport-Oscar, ausgezeichnet.

AZ: Hallo, Mister Moses, Ihre Dauerduelle über die 400-Meter-Hürden mit dem Deutschen Harald Schmid sind längst Leichtathletik-geschichte. Heutzutage scheinen sich die Stars lieber die ganze Saison aus dem Weg zu gehen als gegeneinander zu laufen.

EDWIN MOSES: Das stimmt, und in meinen Augen ist das sicher eines der Probleme der heutigen Leichtathletik. Seit gut vier, fünf Jahren sieht man kaum noch echte Duelle. Die Stars treten möglichst nie gegeneinander an. Es sind immer nur Fernvergleiche, wer die beste Zeit hat, wer am weitesten gesprungen ist oder geworfen hat. So ermittelt man vielleicht, wer der Schnellste der Saison ist, aber nicht unbedingt, wer der Beste ist. Deswegen freue ich mich auch auf die WM, weil es da diese Duelle gibt.

Duelle, wie sie zwischen Ihnen und Schmid üblich waren.

Ja, es war eine auf allen Ebenen fordernde und zugleich inspirierende Rivalität. Eine Rivalität, in der jeder den anderen gezwungen hat, immer das Beste aus sich heraus zu holen. Ohne Harald wäre ich vielleicht nie so gut geworden - und er vielleicht nie ohne mich.

Was war die wichtigste Lehre, die Ihnen die Welt des Sports vermittelt hat, die Sie aus dem Sport für sich selber mitgenommen haben?

Eine sehr schwere, aber sehr gute Frage. Die Leichtathletik ist ein Sport, der keine Ausreden zulässt. Jedes Mal, wenn man die Bahn betritt, hast du Leistung abzuliefern. Diese Leistung ist messbar. Die Uhr zeigt die Zahlen an. Jeder kann sie sehen: Du, die Zuschauer. Ich habe durch den Sport gelernt, Leistungen in allen Bereichen des Lebens zu honorieren. Ich weiß, wie viel Mühen, wie viel Training hinter dieser Leistung, hinter der Zahl, stecken. Die Zahl gibt dir keine Möglichkeit, die Wahrheit so hinzudrehen, wie es dir passt. Das war die grösste und wichtigste Lehrstunde, die mir der Sport erteilt hat.

1984 sprachen Sie in Los Angeles den Olympischen Eid. Was bedeutet er Ihnen?

Er hat mir extrem viel bedeutet. Er hat mich geprägt, und ich habe diese Worte in mein Leben übernommen. "Ich verspreche, dass wir uns als loyale Wettkämpfer erweisen, dass wir teilnehmen im ritterlichen Geist zum Ruhme des Sports und zur Ehre unserer Mannschaften." Ich versuche immer nach diesen Grundsätzen zu handeln und zu leben. Den Olympischen Eid zu leben, heißt für mich zu versuchen, immer das Richtige zu tun.

Wer ist für Sie, eine der Ikonen der Leichtathletik, der grösste Leichtathlet aller Zeiten?

Jesse Owens. Es gibt keinen Größeren. Er hat an einem einzigen Wochenende fünf Weltrekorde aufgestellt. Und er hat bei Olympia 1936 in Berlin mit seinen unglaublichen Leistungen ganz alleine die schreckliche Lehre der Nazis von der Überlegenheit der arischen Rasse ad absurdum geführt. Außerdem hat er für die Menschen viel Gutes getan.

Sie sind der Vorsitzende der Laureus Foundation, für die Nelson Mandela die legendären Worte "Der Sport hat die Macht, die Welt zu verändern" sprach. Berlin hat sich gewandelt. 1936 Austragungsort von Olympia in Nazi-Deutschland, heute 2009 Ort der WM in der freien, demokratischen Bundesrepublik.

Einige Teile der Welt haben sich verändert, andere noch nicht. Man darf die Worte Mandelas nicht so verstehen, "der Sport macht das schon, er ändert die Welt". Nein, die Worte sind eine Aufgabe. Wir können nur alle anfangen, in unserem Mikrokosmos die Welt etwas zu verändern. Diese kleinen Teile summieren sich dann zu einer großen Veränderung. Der Sport ist dafür ein gutes Mittel, dass Mauern niedergerissen und Brücken gebaut werden. Und dann hat der Sport die Kraft, die Welt zu verändern.

Hätten Sie sich vorstellen können, dass Sie es erleben werden, dass mit Barack Obama ein Afro-Amerikaner Präsident der Vereinigten Staaten wird?

Sicher nicht, und ich glaube nicht, dass es viele gibt, die das ernsthaft erwartet haben. Aber eins darf man nicht vergessen, ein Obama für sich reicht nicht, um die Einstellungen der Menschen zu verändern. Die Tatsache, dass wir einen afro-amerikanischen Präsidenten haben, kann nicht verbergen, dass wir in den USA weiterhin grundlegende Probleme in Rassenfragen haben. Die Nation ist weiterhin gespalten. Das ist nicht mit einem Schlag gelöst, nur weil wir nun einen schwarzen Präsidenten haben. Wir alle müssen was ändern.

Aber gerade der Sport kann da - wie Laureus beweist - eine sehr wichtige Rolle spielen.

Daran glaube ich. Am 11. September, diesem schwarzen Tag der Menschheit, war ich in Derry, Nordirland. Da haben wir von Laureus in einem Sportcamp katholische und protestantische Kinder zusammengebracht. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie mit Kindern der anderen Konfession zu tun hatten. Oder letzten Herbst, da haben wir in Sportevents Kinder aus Israel und Palästina zusammengebracht. Wenn man in diesen jungen Jahren an sie herankommt, hat man die Chance, die Mauern aus Vorurteilen, Unverständnis und Hass niederzureißen, bevor sie ein unzerstörbares Bollwerk geworden sind. Wir müssen an diesen Hass ran, bevor er Wurzeln schlägt und in all seiner Hässlichkeit erblüht.

Welche Änderung wollen Sie in dieser Welt noch unbedingt erleben?

Mein Wunsch ist, dass die Menschheit in Fragen der Rasse, der Religion, der sexuellen Neigungen endlich wahre Toleranz lernt. Dass wir sehen, was uns verbindet, nämlich, dass wir alle Geschöpfe Gottes sind - und nicht betonen, was uns unterscheidet. Ich sehe es als Tragödie an, dass wir überall in der Welt nicht die Toleranz aufbringen, zu akzeptieren, dass Menschen unterschiedlich sind. Das geht von den Stammesfehden in Afrika bis zum Hass auf Homosexuelle oder Einwanderer, die Kämpfe zwischen Israelis und Palästinensern. Trauriger- und tragischerweise werden viele dieser Handlungen auch noch von religiösen Eiferern genährt. Es ist die größte Herausforderung, die die Menschheit hat, sich von diesen tiefliegenden negativen Emotionen loszueisen und loszusagen.

Wenn man die Grundlagen der Religionen, von Bibel bis Koran liest, wird dort sehr viel Toleranz gepredigt. Doch was die Prediger draus machen, klingt oft ganz anders.

Absolut, aber dann muss man sich vor Augen führen: Es ist nicht die Religion, die spricht, sondern Menschen, die die Religion in ihrem Sinne verdrehen. Gott predigt keinen Hass.

Interview: Matthias Kerber

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