"Das nimmt mir keiner mehr"

Birgit Kober aus Neuperlach hat bei den Paralympics zweimal Gold gewonnen. Hier spricht sie über London, die viele Aufmerksamkeit – und den Prozess gegen die Klinik, deren Behandlungsfehler sie in den Rollstuhl brachte
von  Markus Merz

AZ: Birgit Kober, erst die beiden Goldmedaillen bei den Paralympics, am Montag dann der Empfang am Flughafen und weiter zu Fernsehstudios und Interviewpartnern. Können Sie schon realisieren, was da gerade alles passiert?

BIRGIT KOBER: Nein, noch nicht so ganz. Das läuft alles wie ein Film ab. Natürlich hat man sich das so gewünscht. Aber das alles ist jetzt doch ziemlich neu für mich. Positiver Stress zwar, aber ungewohnt. Alle wollen etwas von mir: ARD, ZDF, die Lebenslinien des BR. Ich kann das alles gar nicht so schnell beantworten, habe das erstmal unter Presse abgeheftet. Ich werde aber nach und nach alles ordnen und sorgfältig abarbeiten und dann zurückrufen.

Weit weniger sorgsam ist man 2007 im Klinikum Rechts der Isar mit Ihnen umgegangen, als Sie wegen Ihrer Epilepsie dort zur Behandlung waren und das Krankenhaus nur noch im Rollstuhl verlassen konnten.

Das stimmt. Damals hat wohl ein Schreibfehler eines Arztes dazu geführt, dass ich ein toxisches Medikament verabreicht bekommen habe – und zwar in vielfach überhöhter Dosis. Das hat dann zu der Ataxie geführt, die mich heute an den Rollstuhl bindet.

Sie müssen unendlich sauer sein.

So komisch das klingt, aber Fehler können passieren. Natürlich ist das bitter. Ich habe aber damals darauf verzichtet, persönlich gegen die handelnden Personen vorzugehen. Das würde ich heute anders machen.

Nun hoffen Sie zumindest auf einen Sieg im Prozess gegen das Klinikum. Im Oktober geht’s los. Ein Prozess um Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit ist ein Wort, das mir in diesem Zusammenhang nicht so gefällt, weil ich nicht weiß, ob es in diesem Fall überhaupt Gerechtigkeit gibt.

Sie fordern Entschädigung, wollen Ihr Recht einklagen.

Ich lebe von Hartz IV, weil sich die Anwälte seit fünf Jahren nicht einigen können, obwohl die Klinik den Fehler zugegeben hat. Man hat mir damals mein Leben genommen.

Hoffen Sie jetzt, auch durch Ihre gestiegene öffentliche Wahrnehmung, auf höhere Erfolgsaussichten?

Zumindest habe ich jetzt eine Stimme, die ich im Gerichtssaal nicht haben werde. Mit meinen Besuchen bei Beckmann oder den Interviews steigt die Aufmerksamkeit.

Wie sind Ihre Erfolgsaussichten?

Gar nicht so schlecht. Ich habe es aber mit einem fiesen Gegner zu tun, der unberechenbar ist und mit sehr viel Schlamm um sich wirft. Ich stelle mich jedenfalls auf sehr viel Ungutes ein. Letztlich geht es mir aber darum, mich nicht kleinkriegen zu lassen. Die Gegenseite darf nicht davonkommen. Denn mein Leben vor dem Behandlungsfehler hat mir sehr viel bedeutet – auch wenn das gerade natürlich auch sehr schön ist. Und egal, wie der Prozess ausgeht: Was ich in London erlebt habe, nimmt mir keiner mehr.

Wie haben Sie die letzten Tage der Paralympics nach Ihren Goldmedaillen erlebt?

Das war einfach unglaublich. Ich hatte eigentlich vorgehabt, mehr von den Spielen zu sehen. Ich habe dann aber nur noch Karten fürs Basketball-Endspiel bekommen. Das schönste Erlebnis war aber, beim Kugelstoßen den letzten Wurf zu haben, wenn 80 000 Menschen nur für dich selbst klatschen. Und als ich dann den Weltrekord geworfen habe, hat das Stadion getobt. In den Tagen danach wurde ich von ganz vielen Leuten auf der Straße angesprochen.

Das dürfte in Zukunft in Neuperlach nicht anders sein, wo Sie regelmäßig auf einer Wiese trainieren.

Ja, ich habe da eine Wiese entdeckt, auf der ich meinen Speer sehr gut werfen kann. Im Gebüsch habe ich zwei Bierkisten versteckt und mit Kabelbindern angebunden. Auf den Kisten sitze ich dann beim Wurf. Ich habe mir diesen Platz gesucht, weil ich nicht immer den Aufwand betreiben will, zum Olympiastützpunkt zu rollen.

Haben die Anwohner in Neuperlach nicht verwundert reagiert, als Sie auf der Wiese plötzlich den Speer mitgebracht haben?

(Lacht) Doch. Natürlich musste man sich erstmal mit einigen Hundebesitzern einigen. Eine Frau wollte anfangs sogar die Polizei rufen. Inzwischen ist aber alles gut.

Auch bei Ihren Kugelstoß-Einheiten in der Tiefgarage?

Das muss ich jetzt mal richtig stellen. Ich werfe die Kugel, die im übrigen weichere Hallenkugeln sind, nicht direkt in der Tiefgarage sondern in einem Gang, der zur Tiefgarage führt. Das ist von daher optimal, weil dieser Gang abschüssig ist, ich die Kugeln nach oben werfe und sie gleich wieder zu mir zurückrollen.

Die Trainingsmethoden haben sich ausgezahlt. Bei den Paralympics haben Sie in beiden Disziplinen mit deutlichem Vorsprung einen Weltrekord erzielt und Gold gewonnen. Schon gibt es leise Kritik, dass Sie im Vorteil seien.

Was kann ich denn für meine körperlichen Voraussetzungen? Ich war einfach schon immer eine sehr gute Werferin.

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