„Das muss denen richtig weh tun“

Zum Weltcup-Auftakt in Gällivare: Der Langlauf- Trainer über Angerer und Sachenbacher, Strafen gegen Dopingsünder und fehlende Betten im Hotel.
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„Wir wollten bei ihm an Grenzen gehen. Nur sind wir über die Grenzen hinaus gegangen“: Tobias Angerer, Gesamt-Weltcup-Sieger 2006 und 2007, im letzten Winter nur Mittelmaß.
dpa „Wir wollten bei ihm an Grenzen gehen. Nur sind wir über die Grenzen hinaus gegangen“: Tobias Angerer, Gesamt-Weltcup-Sieger 2006 und 2007, im letzten Winter nur Mittelmaß.

Zum Weltcup-Auftakt in Gällivare: Der Langlauf- Trainer über Angerer und Sachenbacher, Strafen gegen Dopingsünder und fehlende Betten im Hotel.

AZ: Herr Behle, haben Sie es schön im Norden Schwedens?

JOCHEN BEHLE: Nein, überhaupt nicht. Hier gibt es nur Probleme.

Oh. Welche denn?

Gällivare ist einfach viel zu klein für einen Weltcup. Das ist immer das Gleiche hier. Die Unterkünfte hier sind eine Frechheit. Als wir am Donnerstag ankamen, war gar nichts im Zimmer. Kein Schrank, kein Bett, nicht einmal fließend Wasser. Da hing eine Lampe oben an der Decke, das war’s dann schon, der Rest war Strippen und Kabel. Das kannst du vergessen hier. Eine Katastrophe.

Klingt ungemütlich.

Ist es auch. Aber wir haben ja keine Alternative, wo wollen wir schon hin? Und ich bin trotzdem ganz zuversichtlich, was unsere Läufer angeht.

Auch bei Tobi Angerer, dem einstigen Seriensieger, der letzten Winter nur noch Mittelmaß war?

Bei Tobi haben wir wieder alles umgestellt. Wir hatten im letzten Jahr zu viel trainiert. Wir wollten bei ihm an Grenzen gehen, um zu sehen, was da möglich ist. Nur mussten wir dann sehen, dass wir über die Grenzen hinaus gingen. Er war nicht frisch genug, die Regeneration war zu kurz. Deswegen hat er in diesem Sommer auch nur gerade mal 10000 Kilometer trainiert. Das sind 800 weniger als im Jahr davor. Seiner Psyche hat das sehr gut getan. Der Tobi ist ja auch so ehrgeizig, aber jetzt weiß er selbst, dass es manchmal besser ist, sich zu bremsen. Ich denke, dass er wieder sehr weit vorne landet.

Evi Sachenbacher auch? Vor bald sieben Jahren gewann sie bei Olympia Gold, seitdem blieben die ganz großen Erfolge aus.

Da muss auch sagen, dass auch die Medien die Erfolge von damals viel zu hoch aufgehängt haben. Außerdem war das Gold in der Staffel.

Und immerhin Silber im Sprint.

Sicher, sie hatte auch einmal einen Weltcupsieg im Einzel, aber klar ist, dass sie nicht die überragende Läuferin ist. Sicher hatten auch wir uns ein bisschen mehr erhofft von ihr.

Kam der Durchbruch damals zu früh für sie, stieg ihr der Erfolg zu Kopf?

Nein. Ihr nicht. Sie ist ganz normal geblieben. Das Umfeld hat wahnsinnig viel daraus gemacht. Da entstand eine Erwartungshaltung, der muss so ein junges Mädchen erst einmal gerecht werden. Ich habe immer gesagt: Freunde, redet bei ihr nicht immer nur von den ersten drei Plätzen, die Ergebnisse sind nicht so, dass wir davon ausgehen können.

Schafft sie es nochmal nach ganz oben?

Das Potenzial hat sie. Und ganz abgesehen davon kann der Langlauf froh sein, eine Evi zu haben. Mit ihrem fröhlichen Lächeln, das sie in die Welt getragen hat, hat sie unserem Sport sehr gut getan. Sie verkörpert das neue Gesicht der Langläuferinnen.

Leider gibt es in Ihrem Sport auch die weniger fröhliche Seite. Nach den vielen Dopingskandalen im Langlauf in den vergangenen Jahren forderten Sie jetzt eine lebenslange Sperre für Dopingsünder. Glauben Sie, das schreckt ab?

Erst einmal, wenn einer Epo oder Cera nimmt, dann ist das unakzeptabel. Das ist ja nicht so, dass da einer mal ein Schmerzmittel nimmt oder einen Hustensaft und nicht weiß, was drin ist. Bei Epo oder Cera hat er es so gewollt. Er hat es mutwillig und wissend gemacht, da braucht mir keiner etwas anderes erzählen. Wer versucht, auf diese Weise zu manipulieren, der gehört nicht mehr in den Sport, lebenslang weg, der darf nicht mehr auftauchen.

Ohne zweite Chance?

Warum eine zweite Chance? Der weiß doch schon beim ersten Mal, was er da macht. Die Leute gefährden doch eine ganze Sportart, das sieht man ja im Radsport. Was die alles absagen, weil sie fernsehmäßig nicht mehr präsent sind, die Deutschland-Tour, die kleineren Rundfahrten, Rheinland-Pfalz und wie sie alle heißen, das bringt den Sport an den Rand der Existenz.

Befürchten Sie diese Entwicklung auch im Langlauf?

Nein, ich glaube, bei uns ist schon ein ganz anderes Bewusstsein da.

Sie sind also fest davon überzeugt, dass alle Ihre Läufer sauber sind.

Ja. Ja, das bin ich.

Sie kennen doch auch Kari-Pekka Kyrö.

Natürlich.

Der war bei der verseuchten WM 2001 Trainer der Finnen, bei denen damals gleich sechs Athleten positiv getestet wurden. In diesem Sommer brach Kyrö sein Schweigen und sprach von der Doping-Systematik in seiner Nationalmannschaft, einem, so wörtlich, „pharmakologischen Programm“. Glauben Sie wirklich, dass jetzt auf einmal alles gut ist?

Ich denke, dass es die Läufer endlich kapiert haben. Ich kann natürlich nicht für andere Nationen sprechen, für Russen, Chinesen oder sonst wen. Und natürlich kann es sein, dass es schwarze Schafe gibt, wie Sie sagen, das hatten wir ja schon alles. Aber ich sage ganz offen, ich gehe davon aus, dass diese Zeit vorbei ist. Ich finde auch gut, dass jetzt die Dopingproben aufbewahrt werden.

Weil man sie in ein paar Jahren noch einmal mit verbesserten Testverfahren überprüfen kann?

Ja. Nur wenn dann einer erwischt wird, dann müssen auch da Strafen hinterherkommen. Es kann nicht sein, dass die ihre Erfolge eingehamstert haben, und dann drei Jahre später festgestellt wird, da haben die betrogen, und dann passiert nix. Das muss denen richtig weh tun, das muss denen an die Existenz gehen. Es kann doch keinen Sportler geben, der zufrieden sein kann, Weltmeister geworden zu sein, wenn ihm danach nachgewiesen wird, das war unsauber. Aber bei uns? Wenn ich denke, der Angerer etwa, ja nie und nimmer! Der könnte damit doch gar nicht leben.

Nur gibt es Nationen, in denen Sportler durch Goldmedaillen noch mehr zu Ruhm, Ehre und Geld kommen können als bei uns. Und da riskiert man vielleicht schon mal einen Betrug.

Deswegen müssen die Strafen ja so sein, dass der gar nichts mehr davon hat, dass er selbst im Nachhinein noch zur Rechenschaft gezogen werden kann. Wer lügt und betrügt, gehört weg von der Bildfläche.

Und Gällivare weg aus dem Weltcup-Kalender.

Das auch.

Haben Sie wenigstens inzwischen ein Bett?

Ja. Inzwischen schon. Besser gesagt, noch. Das kann sich hier alles sehr schnell ändern.

Florian Kinast

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