"Das ist knallharte Arbeit": Hannawald über die Besonderheiten der Tournee

Die Vierschanzentournee begeistert Millionen Fans. Auch die Springer selbst sind fasziniert von der Serie. Ikone Sven Hannawald spricht in der AZ über den Mythos, Strapazen, Festschmaus und Silvesterfeiern.
von  Martin Wimösterer
Topfavorit aus Hannawalds Sicht: Dawid Kubacki. Der Pole führt vor der Vierschanzentournee den Gesamtweltcup an. Die DSV-Adler haben zuletzt etwas besser in die Saison gefunden.
Topfavorit aus Hannawalds Sicht: Dawid Kubacki. Der Pole führt vor der Vierschanzentournee den Gesamtweltcup an. Die DSV-Adler haben zuletzt etwas besser in die Saison gefunden. © IMAGO/Geisser

Nach jedem Springen der Vierschanzentournee liefen der kleine Sven und seine Freunde hinters Haus. Sie bauten sich im Schnee einen Hupfhügel und spielten ihre Helden aus dem Fernsehen nach. Matti Nykänen und Jens Weißflog zum Beispiel - für den kleinen Sven blieb Vegard Opaas, ein kaum bekannter Norweger mit schiefsitzendem Kinnschutz und schiefsitzender Brille.

So begann die Hingabe Sven Hannawalds für das Skispringen und die Vierschanzentournee. Der nun 48-Jährige war von der legendenumwehten Serie rund um den Jahreswechsel, in der er sich selbst zur Legende aufschwang, fasziniert - wie Millionen andere an den Hängen und TV-Geräten.

Sven Hannawald
Sven Hannawald © dpa/Wort & Bild Verlag

Hannawald stuft Vierschanzentournee höher als WM und Olympia ein

Knapp 15 Millionen Deutsche schauten im Fernsehen zu, wie er 2002 den Grand-Slam perfekt machte und auch das vierte Springen gewann. Hannawald war der Erste überhaupt, dem dies in der nun 70-jährigen Geschichte der Tournee gelang. Die DSV-Adler warten seitdem - seit ihm - auf ihren nächsten Sieger. Hannawald weiß, wie viele Faktoren für den Triumph zusammenspielen müssen. "Es gibt glückliche WM-Sieger und glückliche Olympiasieger - aber einen glücklichen Sieger bei der Tournee wirst du nicht finden", sagt Hannawald der AZ. Er stuft darum die Tournee am höchsten ein.

Da geht es eben nicht nur um den momentgenauen Absprung am Schanzentisch, um das beste V mit den Skiern im Kampf gegen den Wind, um die sauberste Telemarklandung.

Tournee, das ist laut Hannawald "knallharte Arbeit": vier Springen in gut einer Woche, in denen jeder verschenkte Punkt einer zu viel sein kann. Dazu kommen Reisen, der Medienrummel und die Ski-Party außenrum. Die Fans drängen sich an den Ausläufen in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen (beide Deutschland), Innsbruck und Bischofshofen (beide Österreich). Sie nehmen mit Jubel, Pfiffen, Aufmunterung und Spott auf die Springer Einfluss. So es die denn zulassen..

Tournee: Stresstest für die Skispringer

"Es gibt die große Rivalität zwischen Österreich und Deutschland, das ist Fakt", sagt Hannawald: "Sie ist humaner geworden, in den Anfangszeiten hast du schon gemerkt, was da abgeht. Man kann sich auch darauf vorbereiten. Du weißt als Springer, was auf dich zukommt. Du freust dich auf das volle Haus. So etwas wie bei der Tournee gibt es im Weltcup sonst nicht."

Die Tournee ist ein Stresstest für die Springer. Wie man damit umgeht, ist entscheidend für den Ausgang. Hannawald gibt ein Beispiel: "Karl Geiger reiste im Vorjahr im Gelben Trikot an. Bessere Voraussetzungen gibt es gar nicht, du hast gezeigt, dass du auf verschiedenen Schanzen zurechtkommst. Dann kam Pech dazu und er kam in einen Strudel hinein, den du nicht stoppen kannst."

Hannawald: DSV-Springer nur mit Außenseiterchancen

Die großen Favoriten sind diesmal andere: der Pole Dawid Kubacki, der Slowene Anze Lanisek und - sein Geheimtipp - der Norweger Halvor Egner Granerud. Die Deutschen müssten nach mauem Start in die Saison Befürchtungen entkräften, dass es die schlechteste Tournee überhaupt wird. Hannawald hofft auf einen Podestplatz. "Das wäre was."

Der "kleine Sven" vom Hang hinter dem Haus träumte davon, einmal die Tournee zu gewinnen. Die Erinnerung daran habe geholfen, auch in unangenehmen Zeiten am Traum festzuhalten, sagt Hannawald. Entbehrungen gehören zum Profidasein dazu, gerade auch im Skispringen, wo es bei Ausrüstung und Körper auf jedes Gramm und jeden Zentimeter ankommt.

Wobei Hannawald auch als Springer den Weihnachtsschmaus - in seiner Herkunftsregion Erzgebirge traditionell Gans mit Klößen und Rotkohl - schon genoss. "Auch wenn die Portion etwas kleiner war."

Und an Silvester blieb er, trotz des anstehenden Neujahrsspringen, bis Mitternacht wach. "Ich habe die Leute nie verstanden, die um zehn Uhr ins Bett sind. Die sind dann auch nicht besser gesprungen."

Burn-Out: Anzeichen bereits 2002 bei Hannawald

Doch in seiner Karriere übertourte Hannawald irgendwann, brannte mit einem Burn-out aus. Anzeichen gab es bei seinem Aufstieg in den Skisprung-Olymp 2002 bereits. So ließ er die für ihn überflüssigen Qualifikationsspringen stets aus. "Nach zwei Trainingssprüngen war ich mit der Schanze im Reinen und habe mir die Quali gespart."

Statt auf den Bakken zu steigen, saß er vor einem portablen TV mit Antennenanschluss.

"An jeder Station habe ich mir während der Quali eine Folge von den Heinz-Erhardt-Filmen angeschaut: 'Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett' und sowas. Das war für mich ein Wegkommen. Einige wunderten sich, warum ich mit einem Lachen aus dem Container kam." Auf den Busfahrten schlief er dann. Kraftsammeln für die so reizvolle wie strapazenreiche Vierschanzentournee.

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