Das Ende einer Ära

Der einst übermächtige Schweizer Federer verliert in Wimbledon im Viertelfinale, fällt im Ranking auf Position drei. Und die Rivalen lästern: „Verlieren ist normal, auch für Roger“.
von  Abendzeitung
Roger Federer macht das Aus in Wimbledon sichtlich zu schaffen.
Roger Federer macht das Aus in Wimbledon sichtlich zu schaffen. © dpa

Der einst übermächtige Schweizer Federer verliert in Wimbledon im Viertelfinale, fällt im Ranking auf Position drei. Und die Rivalen lästern: „Verlieren ist normal, auch für Roger“.

LONDON Wie es sich anfühlt, einen Epochenwechsel im Tennis zu erleben, weiß Roger Federer ganz genau. Am 2. Juli 2001 stand er als 19-jähriger Teenager auf dem Centre Court von Wimbledon und kündigte mit einem ruchlosen Sieg über den ewigen Champion Pete Sampras der Tenniswelt seine Klasse und sein Potenzial an. Fast genau neun Jahre später muss Federer nun selbst befürchten, dass ein einziges Match auf dem berühmtesten aller Spiel-Plätze den Abschied von alles überragender Dominanz ankündigt. Nach Federers 4:6, 6:3, 1:6, 4:6-Niederlage gegen den Tschechen Tomas Berdych könnte sich 2010 als Wende- und Umbruchjahr im Welttennis entpuppen, als Saison, in der sich die gewohnte Zweiteilung der Macht zwischen Federer und Nadal dem Ende neigt.

Fast wie eine Simulation des einstigen Abgangs von Sampras wirkte es, als Federer am Mittwochnachmittag dem Centre-Court-Ausgang zustrebte und sich dann noch einmal umdrehte, den Zuschauern traurig zuwinkte und erst dann den Hauptplatz schleppenden Schrittes verließ. Das Ende einer Ära? „Das ist schon ein einschneidender Moment in seiner Karriere“, sagte Experte John McEnroe, „auch Roger ist eben nicht unverletzlich.“

Was schon seit Monaten wie ein Rumoren zu spüren war, die Mobilmachung einer neuen Generation, entlud sich nun blitzartig – mit einem Gewitter, das die Hackordnung nachhaltig zu verändern droht. „Immer mehr trauen sich immer mehr gegen Roger zu – und auch gegen Rafael Nadal", sagte Amerikas Altmeister Jimmy Connors, „wenn erst mal die Ahnung da ist: Diese Spieler sind angreifbar, dann können sich die Verhältnisse schnell radikal ändern.“

Federer wirkt wie das erste und mit Abstand prominenteste Opfer dieser Entwicklung: Seit er bei den Australian Open noch einmal die Attacke eines jungen Herausforderers, des Schotten Andy Murray, abwehren konnte, ist seine magische Beherrschungskraft verloren gegangen. Nicht schlagartig, sondern Spiel um Spiel, Turnier um Turnier. Er verlor gegen Spieler, die jahrelang die schlimmsten Misserfolgsserien gegen ihn hatten – Marcos Baghdatis, Lleyton Hewitt und nun eben Berdych. Bereits im März schlug der Tscheche auf einmal den Maestro in Miami. „Da traut man sich dann natürlich viel mehr zu. Man weiß: Du hast den Sieg gegen ihn wieder auf dem Schläger“, sagt Berdych.

Federer muss keineswegs der Einzige bleiben, der an Macht einbüßt. Auch wenn Spaniens Matador Rafael Nadal gerade wieder mit French- Open-Siegeslorbeer dekoriert wurde, in London noch seinen zweiten Titel holen kann und die Weltrangliste nach Federers Aus noch klarer anführt, ranken sich um eine dauerhafte Spitzenposition des Spaniers Zweifel. Weil Nadal sich schon wieder mit Kniebeschwerden durchs Grand-Slam-Spektakel rackert, sagte er bereits seine Teilnahme am spanischen Davis-Cup-Match im Juli gegen Frankreich ab.

Wie lange kann der Kämpfertyp noch Raubbau an seinem Körper treiben? Wie viele Turniere kann er noch pro Saison bestreiten, ohne seine Gesundheit dauerhaft zu schädigen? „Er muss seine Turniertermine noch genauer prüfen. Und vielleicht weiter reduzieren“, sagt Nadals Onkel und Trainer Toni.

Vor allem für den Serben Novak Djokovic und Britanniens Hoffnungsträger Andy Murray bietet das verrückte Wimbledon 2010 eine historische Chance zum Durchbruch – zu einem Grand-Slam-Sieg, der ihre Tenniskarrieren markant verändern würde. „Es ist das Spiel seines Lebens für Andy“, sagt Ex-Wimbledonsieger Pat Cash über das Halbfinalduell zwischen Murray und Nadal am Freitag, „gewinnt er es, tippe ich auch auf einen Sieg von ihm im Endspiel.“ Dieser Sieg, der erste eines Lokalmatadors seit Fred Perry 1936, könnte wie eine Initialzündung auf Murray wirken. Nun ist er genau so wie Djokovic dran an der Nummer eins. Djokovic rückt in der Hitparade am Montag auf Platz zwei vor, und Federer, Zeichen der Zeit, muss sich erstmals seit 2003 mit Platz 3 begnügen. Und was sagte der Serbe nach der Pleite des Schweizers? „Verlieren ist normal, auch für Roger.“

Jörg Allmeroth

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