„Darf ich das? Erlaubt das mein Freund?“
Alexandra Hempel leitet ein Studio für Pole Dance – und erklärt, warum die Trendsportart, bei der Strings verboten sind, nichts zu tun hat mit Po-Wackeln in anrüchigen Bars. „Es geht um Fitness, selten um Sex“
Frauen in High Heels, knappen Höschen und engen Oberteilen – und das alles in dieser Gegend? Ein Hinterhof in der Münchner Karlstraße: Fernab jeglicher Passanten geht es vorbei an kargen Blumentrögen, falsch geparkten Autos und leer stehenden Geschäften. Dass sich nur wenige Meter weiter Frauen zwischen 15 und 50 Jahren in knapper Bekleidung an Stangen räkeln und winden, lässt sich hier nicht erahnen. Die neue Trendsportart findet hinter einer Milchglas-Fassade statt. Neugierige Einblicke sind nicht möglich.
Auch nicht für eine Gruppe von Männern, die etwa fünf Meter entfernt regelmäßig zur Gebetsstunde zusammenkommen und von den Frauen direkt gegenüber fast keine Notiz zu nehmen scheinen: Man grüßt sich nicht und man beachtet sich auch nicht weiter. In Wirklichkeit aber ist das Interesse der zumeist bärtigen Männer an den Frauen, die gleich hinter einer undurchsichtigen Milchglasscheibe verschwinden werden, immens.
„Wenn bei uns mal die Türe offen steht, dauert es nicht lange, bis die Ersten bei uns reinschauen“, sagt Alexandra Hempel. Die 32-Jährige leitet in München ein Studio für Pole Dance: Eine Trendsportart als Kräftemessen mit der Schwerkraft, beim Tanz an der Stange. Die Klischees verbinden den Sport schnell mit dem Rotlichtmilieu und Oben-ohne-Bars. Doch genau von diesen Vorurteilen wollen sich Alexandra Hempel und (fast) alle, die Pole Dance betreiben, abgrenzen. „Wir wackeln nicht mit dem Po oder zeigen unseren Ausschnitt“, sagt Alexandra Hempel. Bei den Wettkämpfen, die es beim Pole Dance mittlerweile auch gibt, sind Strings genauso verboten wie offen zur Schau gestellte Brüste. Vorrangig geht es um Tricks wie die sogenannten Headfirsts oder Dance-Moves. „Das ist Sport und nicht nur Po-Wackeln“, sagt die 38-jährige Anja.
Dennoch gehört der Sexappeal zum Sport mit der Stange dazu. Die Höschen sind knapp, die Bewegungen durchaus provokativ und die Choreografien werden in High Heels vorgetragen. Dazu tragen Frauen zumeist Sport-BHs. Die Kunst beim Pole Dance besteht aber nicht nur darin, sich auf den hochhackigen Schuhen zu bewegen (dafür bietet Alexandra Hempel im Übrigen eigene Kurse an), sondern auch den Körper in eine ansonsten ungewohnte Spannung zu versetzen. „Es wird wirklich jeder Muskel beansprucht“, sagt Alexandra Hempel. „Ein Kurs ist alles andere als anrüchig, auch wenn das wirklich sexy aussieht, wenn Frauen gut an der Stange tanzen können“, sagt die 30-jährige Julia, die ihrer Trainerin gerne nacheifert.
Wenn Alexandra Hempel ihre zarten Finger um die Stange legt und sich dann wie schwerelos vom Boden löst, scheint der Körper waagrecht in der Luft zu schweben. Jetzt sind alle Muskeln, wirklich alle, angespannt. Mit Striptease oder Table Dance hat das nichts mehr zu tun. „Ich hatte mal zwei Stripperinnen da. Denen war das viel zu anstrengend, was wir beim Pole Dance machen“, sagt Alexandra Hempel.
Ansonsten schauen im Studio der ehemaligen Gogo-Tänzerin und passionierten Balletttänzerin vor allem Frauen vorbei, die Probleme mit der Körperhaltung haben oder die einfach ein neues Hobby suchen. „Es geht um Fitness, selten um Sex“, sagt Alexandra Hempel. Nur ganz wenige kommen in die Kurse, um ihren Partner daheim mit erotischen Einlagen zu verzücken. Die 25-jährige Jana scheint aber auch die erotischeren Vorzüge der Trendsportart erkannt zu haben: „Auch die Männer dürften kleine Privatvorstellungen lieben und bewundern.“ Ganz so offen gehen mit Pole Dance aber nicht alle Frauen um.
Ohnehin gibt es bei Teilen der Kundschaft eine gewisse Scheu, ihr Hobby im persönlichen Umfeld preiszugeben. Alexandra Hempel erfährt das immer wieder: „Viele fragen sich: Darf ich das überhaupt? Erlaubt das mein Freund?“ Deshalb bleibt das Gros der Neugierigen nach den Schnupperkursen wieder daheim. Über Interesse kann sich Alexandra Hempel dennoch nicht beklagen. „Angefangen habe ich 2010 mit einem Kurs mit acht Leuten. Heute habe ich 17 Kurse.“ Eine Schnupperstunde kostet 15 Euro, Werbung macht Alexandra Hempel kaum: „Ich setze auf Vitamin B. Vieles läuft einfach über Mundpropaganda.“ Selbst einige Männer interessieren sich mittlerweile für Pole Dance.
Die meisten sind über ihre Freundinnen zum Tanz mit der Stange gekommen, weil sie sehen wollten was ihre Partnerinnen da so treiben. „Die Männer glauben oft, das sei kein Sport. Wenn sie es dann aber selbst versuchen, scheitern sie oftmals bei den einfachsten Übungen“, sagt Alexandra Hempel. Übungen wie sich für mehrereSekunden an der Stange halten, ohne dabei die Füße zu benutzen (sogenannte Starters) oder sich nur an der Stange hochzuziehen (Poletricks).
Viele der Frauen, die zum ersten Mal zum Pole Dance kommen, scheitern an ganz anderen Herausforderungen. „Es gibt eine gewisse Scheu, überhaupt die Stange anzufassen.“ Also gehtAlexandra Hempel langsam vor, auch was die ersten Übungen angeht. So soll vermieden werden, dass jemand den Halt an der Stange verliert und unsanft auf den Boden fällt. Dagegen sind Schwindelgefühle bei schnellen Choreografien nicht auszuschließen.
Weil das aber die einzigen negativen Auswirkungen sind, können auch Frauen jeden Alters diesen Sport betreiben. Bei Alexandra Hempel finden sich Fitnessbegeisterte zwischen 15und 50 Jahren ein.
Eine Altersbeschränkung gibt es nicht. Ebenso wenig eine Beschränkung auf Fitness- oder Tanzstudios. Viele der Teilnehmerinnen beim Pole Dance kaufen sich schon nach kurzer Zeit eine Stange für Zuhause. Kostenpunkt: Mindestens 300 Euro. Aufgebaut wird das neue Sportgerät bei den meisten im Wohn- oder Schlafzimmer.
Längst gibt es auch Wettbewerbe im Pole Dance. Am 2. Juni steigt in Nürnberg beispielsweise der Vorentscheid zur Miss und zum Mister Pole Dance. Auch eine Aufnahme in den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) wird angestrebt, stößt aber bei manchen Verbandsvorderen noch auf Skepsis.
Alexandra Hempel selbst entdeckt sogar auf der Straße Möglichkeiten, Pole Dance auszuüben: „Das ist ganz schlimm. Bei fast allem, das einer Stange ähnelt, bekommt man Lust, gleich loszulegen.“ Ob an Bäumen oder Straßenschildern – bei den Umstehenden löst sie mit ihrer Akrobatik schon mal Verwunderung aus. Nicht nur bei den bärtigen Männern im Hinterhof der Karlstraße.
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