„Dann sehe ich keine Grenze für Lewis“

Niki Lauda prophezeit Lewis Hamilton eine große Zukunft: „Er ist ein Vollblutrennfahrer!“
AZ: Herr Lauda, so ein WM-Finish hat man selten gesehen. Haben Sie in der letzten Runde, als Felipe Massa führte und Lewis Hamilton nur Sechster war, noch damit gerechnet, dass der Mercedes-Pilot Weltmeister wird?
NIKI LAUDA: Ehrlich gesagt: Nein! Als der Vettel an Hamilton vorbei war, da hab’ ich gedacht: Das war’s jetzt! Es hätte nicht spannender sein können. Lewis ist ein perfektes Rennen gefahren. In der letzten Runde Weltmeister zu werden – besser geht’s nicht.
Frage an den Fachmann: Wie beurteilen Sie den neuen Weltmeister fahrerisch?
Absolute spitze! Lewis ist sehr schnell, sehr aggressiv, hat tolle Fahrzeugkontrolle, attackiert gerne. Racing macht ihm Spaß, das Fahren macht ihm Spaß, das sieht man, denn er steht ja öfter mal quer, er driftet, er beißt. Er ist ein Vollblutrennfahrer.
Was zeichnet ihn aus?
Seine Aggressivität! Der will immer gewinnen, liebt Zweikämpfe, geht keinem Duell aus dem Weg. Er hat wirklich Mumm und Sportsgeist.
Was beeindruckt Sie noch?
Dass er von Beginn seiner Formel-1-Karriere 2007 an ein Topfahrer war, das sieht man selten. Sicher hatte er im McLaren-Mercedes das richtige Werkzeug und ein Topteam dazu. Auch ein gutes Umfeld mit seinem Vater Anthony als Manager. Aber das alles hat Heikki Kovalainen dieses Jahr auch. Und trotzdem nicht diesen Erfolg. Es erfordert eben auch besonderes Talent, mit einem Topauto den Titel zu holen.
Was schätzen Sie höher ein: Seinen Titelgewinn bei noch geringer Formel-1-Erfahrung oder im noch zarten Alter von 23 Jahren, als jüngster Weltmeister aller Zeiten?
Letzteres weniger, denn er ist ja schon seit 15 Jahren Profi. Aber nach nur 35 Formel-1-Rennen Weltmeister zu sein, ist in der heutigen Zeit eine stolze Leistung. Sein Vorgänger Fernando Alonso hatte ja bei seinem Titelgewinn 2005 schon zwei F1-Saisons mehr auf dem Buckel.
Was muss er noch lernen?
Im richtigen Moment vom Gas zu gehen, cool zu bleiben, die Übersicht und die Kontrolle zu behalten.
Wie viel Potenzial sehen Sie bei Hamilton nach oben?
Sehr viel, denn er ist ja noch jung. Wenn er darauf aufbaut und beharrlich weiter lernt und seine Erfahrung nach und nach mit seinem Talent zusammenbringt, kann es für ihn immer weiter aufwärts gehen. Dann sehe ich keine Grenze für Lewis.
Soweit hoch wie einst für Sie selbst, für Ayrton Senna oder Michael Schumacher?
Ja, aber wie gesagt, er muss immer und immer weiter aus seinen Fehlern und Rückschlägen, die sicher kommen, lernen. Wenn er in jedem Jahr die Fehler vom vorangegangenen abstellt, geht es immer weiter. Denn das Wichtigste, Tempo, hat er ja zur Genüge.
Dann kann er also eine epocheprägende Figur werden?
Natürlich, den Anfang hat er ja schon gemacht. Und Michael Schumacher sagt das als siebenmaliger Weltmeister selbst über ihn.
Bei den Kollegen ist Hamilton eher unbeliebt, wegen seiner Zweikampfhärte, wegen seiner Kampflinien, die arg an Michael Schumacher erinnern, und wegen seines enormen Selbstvertrauens.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Härte und der Glaube an sich selbst sind elementare Voraussetzungen für Erfolg. Wenn es sein musste, bin ich den anderen auch über die Radln gefahren.
Um ein Rennfahrer der Extraklasse zu werden, ist auch Charisma gefragt.
Er ist doch eine starke Type. Ich finde ihn offen, symphatisch, auch intelligent. Aber natürlich kann er noch nicht die Ausstrahlung eines ausgewachsenen Superstars haben. Aber er kann sie noch kriegen.
Summa summarum also ein würdiger Weltmeister?
Ja, ein würdiger Weltmeister. Ich ziehe mein Kapperl.
Interview: Peter Hesseler