„Da kommt noch mehr“
US Open-Sensation Angelique Kerber verliert zwar ihr Halbfinale gegen die Australierin Samantha Stosur, deutet aber an, dass sie sich in der Weltspitze etablieren kann – gemeinsam mit Petkovic, Lisicki & Görges.
Als Angelique Keber genau um 20.08 Uhr den legendären Grandstand-Platz mit geschulterter Tennistasche verließ, da brandete noch einmal tosender Applaus für die deutsche Halbfinal-Verliererin auf. Es war die letzte symbolische Verbeugung vor der deutschen Sensationsspielerin bei den US Open – vor jenem zupackenden „Fräulein Unbekannt" (Newsday), das selbst beim 3:6, 6:2, 2:6-Ausscheiden im New Yorker Grand-Slam-Theater gegen die Australierin Samantha Stosur noch einmal mächtig Eindruck hinterlassen hatte.
Auch in der Niederlage war Kerbers Auftritt im Big Apple ein weiterer und letzter Gewinn in einem Tennisjahr, in dem das deutsche Frauentennis seinen Stolz und seine internationale Anerkennung zurückgefunden hatte. „Wir sind wieder eine Größe im großen Spiel“, sagte Fed Cup-Chefin Barbara Rittner, die mit US<TH>Open-Sternchen Kerber nun schon die vierte Spielerin von Weltklasseformat besitzt – nach Andrea Petkovic, Sabine Lisicki und Julia Görges.
Kerbers beeindruckende New Yorker Mission war tatsächlich nur das letzte, erstaunlichste Indiz für einen kräftigen Aufwärtsschub im deutschen Frauentennis, für einen Boom, der erfreulicherweise gerade bei den Grand Slam-Wettbewerben seine stärksten Stories schrieb. „Die Mädels spielen dort gut, wo es zählt. Also bei den Major-Turnieren", sagt Rittner, „das ist wirklich eine tolle Sache.“
So wie sich Frontfrau Andrea Petkovic nach einem zähen Aufstiegsmarsch nun in der Weltspitze stabilisiert hatte und schon einmal bis unter die Top Ten vorgerückt war, so musste auch der Halbfinalvorstoß der 23-jährigen Kielerin kein Zufallsprodukt bleiben. „Ich bin sicher: Das war erst der Anfang. Da kommt noch mehr“, sagte Kerber, die ihr Talent nun endlich mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein zu veredeln weiß. Sie gehe hier „als andere Spielerin“ weg, so Kerber, „ich habe gemerkt, wie schön es ist, oben mitzuspielen und im Rampenlicht zu stehen. Das will ich wieder erleben.“
Petkovic, die Animateurin aus Darmstadt, hatte ihren Freundinnen spätestens mit dem Viertelfinaleinzug bei den Australian Open 2011 den finalen Antriebsimpuls gegeben, ihre eigenen Karrieren auch zu beschleunigen. Görges war die Erste, die nach oben folgte, vor allem, weil sie zu mehr Solidität fand und ihr wildes Hauruck-Tennis hinter sich ließ. Lisicki konnte im dankbaren Schatten von Petkovic ihre Comeback-Mission entschlossener vorantreiben, entdeckte in Wimbledon die altgewohnte Dynamik und Nervenkraft wieder. Und Kerber rückte nun bei den US Open zu den Kolleginnen auf, mit besserer Fitness und größerer Emotionalität.
Bleiben die jungen Deutschen weiter so zielstrebig und hungrig, sollten sie sich besser nach der logistischen Devise von Frontfrau Petkovic richten. „Ich buche bei den Grand-Slam-Turnieren jetzt immer die Hotels für zwei Wochen", so die 24-jährige, „da hat man dann nicht so viele Schwierigkeiten, wenn man was ändern will.“ So wie bei diesen US Open noch Kerber, die sich mit Mama Beata auf eine Woche New York eingerichtet hatte.
Im größten Spiel ihres Lebens wirkte die Kielerin am Samstagabend nur anfangs überwältigt von der Herausforderung. „Ich habe die Atmosphäre dann richtig genossen“, sagte Kerber später und definierte gleich eine anspruchsvollere Selbstverpflichtung für die Major-Wettbewerbe: „Die zweite Woche zu erreichen, muss jetzt immer das Ziel sein.“
Nach der Aufholjagd im zweiten Satz kostete Kerber ein Aussetzer zu Beginn des dritten den Sieg, ein 0:5-Rückstand war zu viel für eine letzte Aufholjagd, die dann beim 2:6 endete. „Sie kann trotzdem ganz, ganz stolz auf sich sein. Ich freue mich, dass sie endlich auch Spaß am Tennis hat. Dass sie lächelt, wenn sie spielt“, sagte Rittner, die alte Konflikte mit der Kielerin um Fed-Cup-Einsätze beerdigte. Nach dem Turnier werde man sich „in aller Ruhe“ zusammensetzen und Kerbers Rückkehr besprechen, so Rittner. Im Februar 2012 treten die DTB-Frauen gegen Tschechien an.
Vielleicht kommt dann auch mal die große alte Dame Steffi Graf zu Besuch. Ihrer Freundin Rittner hat sie längst versprochen, ihren Nachnachfolgerinnen einmal beim Fed Cup zuzuschauen. Ein aktuelles Kompliment gab es nach den US Open aber schon mal von ihr. „Das war eine richtige Klassesaison unserer Mädels“, sagte Graf.