Claudia Pechstein: "Das ging bei mir in Richtung sterben!"
Und plötzlich sah Claudia Pechstein nicht mehr aus, wie die unermüdliche Kämpferin, die allen Widrigkeiten trotz, die mit einzigartigem Starrsinn nicht nur jeder Kontroverse stellt, sondern diese sogar sucht, die Gevatter Zeit ein ums andere mal an seiner Effizienz zweifeln ließ.
Urplötzlich sah Pechstein an diesem 16. Februar 2018 aus, wie eine 45-Jährige, die ihren Zenit überschritten hatte, sie sah aus wie eine alte Frau. Nach ihrem Lauf über die 5000 Meter bei den Spielen in Pyoengchang, bei der die Berlinerin "Geschichte schreiben" und sich als älteste Athletin der Sportgeschichte olympisches Edelmetall um den Eisschnellläufer-Hals hängen lassen wollte, sackte sie nach ihrem Lauf entkräftet zusammen.
"Ich habe versucht, gleichmäßig zu laufen. Das ging nicht lange gut. Siegen oder sterben - bei mir ging es in Richtung sterben", gestand Pechstein.
"...da kann ich fast happy sein"
Sie musste sich auf die Bande legen und japste verzweifelt nach Luft, ihre Betreuer reichten ihre eine Sauerstoffmaske. Am Ende reichte es zum enttäuschenden achten Platz für die Rekord-Olympionikin über ihre Paradestrecke. Gold ging an Esmee Visser aus den Niederlanden, die mit Bahnrekord von 6:50,23 Minuten ihrer Rolle als Geheimfavoritin gerecht wurde. Zweite wurde die dreimalige Olympiasiegerin Martina Sablikova (Tschechien) vor der Russin Natalja Woronina. Das Trio jubelte, während Pechstein darum kämpfte, zu Kräften zu kommen.
Es war ein trauriger Anblick. "Das ging nicht lange gut. Siegen oder sterben - bei mir ging es in Richtung sterben", gestand Pechstein, bei der die Beine ab etwa 3000 Meter schwer wurden, wo jeder Schritt zur Qual geworden war. "Ich bin nicht Letzte geworden, da kann ich fast happy sein. Vierte, Fünfte oder Sechste ist scheißegal, Medaille oder gar nichts."
Es wurde gar nichts. Fast auf den Tag genau 26 Jahre nach dem Gewinn ihrer ersten Olympiamedaille hat sich der große Traum für die fünfmalige Olympiasiegerin, die sogar als deutsche Fahnenträger für die Eröffnungsfeier nominiert war - eine Rolle, die letztlich Kombinierer-Star Eric Frenzel einnehmen durfte - nicht erfüllt.
Pechstein verliert die Beherrschung
Doch aufgeben ist für Pechstein nicht drin. Sie will weitermachen. Weiter, immer weiter. Bis zu Olympia 2022. Dann in Peking. Pechstein, die "Eis-Oma" wäre dann fast 50 Jahre alt. "Jetzt greife ich in vier Jahren noch mal an", sagte Pechstein in ihrer bekannt rotzig-trotzigen Art. DSB-Präsident Alfons Hermann fand für Pechstein unmittelbar nach dem Rennen lobende Worte. "Natürlich ist es schade. Wir hätten es ihr alle von Herzen gegönnt. Ich bin mir sicher, sie hat wie immer im Leben alles gegeben."
Und dann kam wieder das Thema auf, was Pechstein in ihrer Karriere immer begleitet hat: Doping. 2009 war sie wegen "auffälliger Blutwerte" gesperrt worden, das Urteil bezeichnet sie noch heute als Unrechtssperre, geht weiter dagegen juristisch vor. Am Freitag, als Pechstein entkräftet das Eis verließ, standen plötzlich die Doping-Kontrolleure vor ihr. Das war dann doch zu viel für die streitbare Pechstein. Sie verlor die Beherrschung. Wütend zerriss die Eisschnellläuferin das Formular für den Dopingtest. Zufall? Bewusste Provokation gegen einen Athletin, die so tapfer und hartnäckig gegen ihre Sperre gekämpft hat? Ein letzter "Olympischer Gruß"?
"Das kann nicht wahr sein. In diesem Moment mit dem Formular zu winken" , echauffierte sich Pechstein. Es dauerte, bis sich ihr Groll gelegt hatte und sie den Test wie vorgeschrieben, absolvierte.
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