Claudia Kohde-Kilsch im AZ-Interview über die Situation von Boris Becker

In der AZ spricht die Ex-Tennisspielerin und heutige Linken-Politikerin Kohde-Kilsch über Wimbledon, Beckers Finanznöte, Zverevs Emotionen und Kerbers Aus: "Die Nummer 1 war immer eine Last für sie."
von  Simon Stuhlfelner
"Er macht einen gefassten Eindruck, sein Expertenjob bei der BBC macht ihm viel Spaß", sagt Claudia Kohde-Kilsch (rechts), die Boris Becker in Wimbledon getroffen hat.
"Er macht einen gefassten Eindruck, sein Expertenjob bei der BBC macht ihm viel Spaß", sagt Claudia Kohde-Kilsch (rechts), die Boris Becker in Wimbledon getroffen hat. © dpa

Claudia Kohde-Kilsch (53) holte 1988 Olympia-Bronze im Doppel mit Steffi Graf, 1987 gewann sie den Doppeltitel in Wimbledon und den Fed Cup. Sie ist Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Stadtrat von Saarbrücken.

AZ: Frau Kohde-Kilsch, Angelique Kerber und Alexander Zverev sind als letzte Deutsche im Achtelfinale ausgeschieden. Sie haben selber dort 1987 den Doppel-Titel gewonnen. Wie fällt Ihr Wimbledon-Fazit aus deutscher Sicht aus?
Claudia Kohde-Kilsch: Durchwachsen. Viele deutsche Spieler sind früh ausgeschieden, obwohl eigentlich mehr Potenzial da wäre. Zwei, drei Spieler wie Andrea Petkovic (3:6, 6:3, 7:9 gegen Dominika Cibulkova, d.Red.) haben gegen gute Gegner sehr knapp verloren und eigentlich gut gespielt, das muss man natürlich berücksichtigen.

Wie beurteilen Sie die Leistung von Kerber in Wimbledon?
Was Kerber angeht, kämpft sie natürlich gegen den Druck, alles verteidigen zu müssen, was sie letztes Jahr erreicht hat. Das liegt ihr nicht so. Sie kämpft mit sich selbst, um die Lockerheit wiederzugewinnen, die sie letztes Jahr hatte. Ich habe das Spiel am Samstag gegen Shelby Rogers (4:6, 7:6, 6:4 für Kerber, d.Red.) live vor Ort gesehen. Wenn sie nicht so einen Kampfgeist gehabt hätte, hätte sie das schon verloren. Vielleicht hat es auch etwas Gutes, dass sie die Nummer eins verliert und den Druck los ist. Sie kann jetzt einen neuen Anlauf nehmen und versuchen, wieder etwas lockerer zu werden.

Wie ordnen Sie das Aus im Achtelfinale gegen Garbine Muguruza ein? Rückschlag? Hoffnungsschimmer? Oder gar Wende zum Guten?
Kerber hat ein grandioses Match gespielt, Muguruza ist eine Topspielerin. Insofern sollte so ein Match, auch wenn es verloren gegangen ist, Angelique aufbauen. Sie hatte wesentlich schlechtere Matches dieses Jahr. Ich hatte immer das Gefühl, dass es für sie eine Last war, die Nummer 1 zu sein, weil sie nicht der Typ ist, der gerne im Mittelpunkt steht. Wenn das weg ist, wird sie wieder besser spielen. Das Match gegen Muguruza war ein Schritt in die richtige Richtung.

Deutschlands Tennis-Hoffnung bei den Männern, Alexander Zverev, war sehr unzufrieden nach seiner Fünfsatzniederlage gegen Milos Raonic. Was fehlt ihm noch, damit er solche Matches gewinnt?
Er ist ein junger Wilder und spielt unglaublich gutes Tennis. Er ist ja schon in der Weltspitze angekommen, hat auch Top-Ten-Spieler geschlagen. Es braucht in dem Alter Zeit, bis man die Konstanz in den Leistungen findet, auch was die mentale Konstanz betrifft. Manchmal ist er auf dem Platz sehr emotional, man sieht ihm immer an, wie er sich fühlt. Was mir an ihm so gefällt, ist, dass er frisch und locker drauflosspielt. Seit langem haben wir bei den Männern mal wieder einen Deutschen, der einen Grand Slam gewinnen kann.

Er selbst hat aber gesagt, er habe keine Lust mehr zu lernen, er wolle diese Matches wie gegen Raonic jetzt einfach mal gewinnen. Würden Sie ihm mehr Geduld empfehlen?
Nein, mir gefällt diese Einstellung. Er will die Spiele gewinnen, hier und jetzt. Hätte er diese Attitüde nicht, wäre er auch nicht so weit oben.

In den vergangenen Wochen hat Boris Becker Schlagzeilen gemacht mit seinen finanziellen Problemen. Wie sehr macht Sie das betroffen?
Ich kenne Boris, seit er zwölf Jahre alt ist. Als er 17 war, haben wir zusammen Mixed gespielt. Er ist ein feiner Kerl und war ein großartiger Sportler. Boris Becker hat Unglaubliches für Deutschland geleistet. Aus meiner Sicht konnte ich beobachten, dass er immer die falschen Berater um sich hatte, falsche Freunde, die sich an die Person Boris Becker drangehängt haben. Dafür muss er jetzt büßen. Wenn’s nämlich schlecht läuft, steht man alleine da. Das tut mir leid für ihn, weil er das nicht verdient hat.

Sie haben ihn in Wimbledon getroffen. Welchen Eindruck machte er auf Sie?
Ich habe nur kurz mit ihm gesprochen. Er hat zu mir gesagt: "Ich kenne die Fakten, es interessiert mich nicht, was man in Deutschland über mich sagt." Er macht einen gefassten Eindruck, sein Experten-Job bei der BBC macht ihm viel Spaß und lenkt ihn ab.

Sie selbst mussten 2011 Insolvenz anmelden. Können Sie ihm aus Ihrer Erfahrung heraus etwas raten?
Bei mir wurde ja zum Glück nach ein paar Monaten das Verfahren aufgehoben, heute ist alles in Ordnung. Man muss in einer solchen Situation versuchen, in sich zu ruhen und den Trubel an sich abprallen zu lassen. Es gibt für alles eine Lösung. Ich hoffe, dass er sich mit den richtigen Leuten umgibt.

Sie sind Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Stadtrat von Saarbrücken. Was sind Beweggründe für Ihr politisches Engagement?
Gerade mit dem Thema soziale Gerechtigkeit kann ich mich bei der Linken sehr gut identifizieren. Ich war mein ganzes Leben lang sehr sozial eingestellt. Mir macht es sehr viel Spaß, mich zu engagieren und nicht nur zu meckern. Natürlich verliert man auch manche Illusion und muss lernen, wie es in der Politik wirklich läuft. (lacht)

Und wie oft spielen Sie noch Tennis?
Sporadisch. Auf Anfrage gebe ich manchmal Training. Inzwischen bin ich auch Honorar-Bundestrainerin beim Deutschen Tennis-Bund für die Jugendarbeit in Ostdeutschland. Eine Arbeit, die mir sehr viel Spaß macht.

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