„China in der Spätpubertät“

Der Journalist, Bestseller-Autor ("Der China-Code", "Der China-Schock") und Asienspezialist Frank Sieren wurde lebt seit Anfang der 1990er in Peking. AZ-Olympia-Reporter Florian Kinast hat ihn besucht - und Sieren erklärt, wie das Land die Welt ohne Waffen erobert, was Europa tun soll – und warum er lieber Chinese als Inder wäre.
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AZ-Olympiareporter Florian Kinast besuchte den Bestseller-Autor Frank Sieren zu Hause in Peking.
az AZ-Olympiareporter Florian Kinast besuchte den Bestseller-Autor Frank Sieren zu Hause in Peking.

Der Journalisten, Bestseller-Autor ("Der China-Code", "Der China-Schock") und Asienspezialist Frank Sieren wurde lebt seit Anfang der 1990er in Peking. AZ-Olympia-Reporter Florian Kinast hat ihn besucht - und Sieren erklärt, wie das Land die Welt ohne Waffen erobert, was Europa tun soll – und warum er lieber Chinese als Inder wäre.

Von Florian Kinast.

Herr Sieren, schön wohnen Sie, mitten im Herzen Pekings. Seit 15 Jahren sind Sie hier, sind Sie auch gut integriert in Chinas Gesellschaft?

FRANK SIEREN: Nein. Als einer, der nicht chinesisch aussieht, ist man immer der Gast. Die 1.3 Milliarden Chinesen sind sehr mit sich beschäftigt. Sie haben es nicht nötig, die Menschen anderer Länder zu integrieren. Sie bekommen das Know-How auch so.

Die brauchen also keine Computer-Inder.

Richtig. Die Ingenieure und Spezialisten von außerhalb können gerne wieder gehen, wenn sie ihre Schuldigkeit getan haben. Dabei wäre es ein gewaltiger Vorteil für China, Menschen anderer Völker einzubinden und sich mehr zu vermischen. Peking wird nie die kulturelle Vielfalt haben wie New York.

Peking galt auch noch nie wie New York als Traumstadt für europäische Auswanderer.

Vielleicht kommt das ja noch, wenn es in Europa und Amerika noch weniger Jobs gibt. Ich habe erst gestern den Manager eines amerikanischen Autozulieferers getroffen. In Amerika hat er seine Arbeit verloren. Jetzt ist er hier, um zu sehen, ob er was bekommt. Natürlich zum halben Preis. Der globale Trend weist Richtung China.

Beginnt jetzt eine neue Ära?

Ja. Wir befinden uns in einer historischen Zäsur. Die letzten 400 Jahre war es so, dass immer wir Westler die Spielregeln bestimmt haben. Egal, wo wir hingefahren sind. Holländer, Portugiesen, Engländer, Franzosen, Deutsche konnten das, bevor die USA dann Weltmacht wurden. Diese Epoche endet nun, Amerika verliert täglich an Einfluss. Ein bisschen geht es dem Westen so wie dem Adel am Ende des 18. Jahrhunderts. Der konnte seine exklusive Position auch nicht halten, irgendwann wollte die Mehrheit der Menschen selbst mitbestimmen. Weltpolitisch wollen nun die Chinesen ran. Nur gehen sie anders vor als der Westen in den letzten Jahrhunderten.

Weil sie die Welt nicht mit Gewalt erobern wollen?

Ja. Mehr Macht erreicht man mit drei Methoden: Waffen, Waren, Werte. Lassen wir die Werte mal beiseite, für die ist zum Bespiel der Papst zuständig. Waffen waren das klassische Mittel des Westens, um an Macht zu gewinnen. China versucht es mittels Waren.

Sehen Sie China nicht als Pulverfass?

Nein. Eine Krise gibt es nur, wenn dem Staat das Geld ausgeht. China hat aber enorme Devisenreserven von derzeit 1,8 Billionen US-Dollar. Selbst wenn in einer Provinz mal 20 Millionen Chinesen auf die Straße gehen, bekommt jeder 500 Euro – und die Krise ist zu Ende. Derzeit jedoch schauen die Menschen zuversichtlich in die Zukunft.

Wirklich? Die Schere zwischen Arm und Reich wird doch immer größer.

Es gibt einen UN-Koeffizienten zum Verhältnis Armut und Reichtum, wonach die USA einen schlechteren Wert haben als China. Und der einstweilige Trend spricht für sich: In Amerika werden die Armen ärmer, in China werden sie reicher. Nicht so schnell wie gewünscht, doch stetig. Neulich habe ich hier in der Straße einen Fahrradflicker gefragt, wie er es findet, dass sein Kumpel von nebenan jetzt plötzlich einen Audi A6 fährt. Da hat er nur gemeint, dass der auch fleißiger gearbeitet hätte und er jetzt auch mehr tun müsse. Das Neidgefühl ist hier nicht so ausgeprägt wie bei uns in Deutschland.

Aber es gibt auch nicht die gleichen Rechte und Freiheiten wie bei uns.

Ich empfinde es als unerträglich, wenn hier Menschen verfolgt, verschleppt und verhaftet werden. Nur warne ich davor zu glauben, man könne von heute auf morgen Demokratie einführen und damit wären alle Probleme gelöst. Das hat in Russland Anfang der Neunziger schon nicht geklappt. Die Russen sind danach noch ärmer geworden. Auch die Demokratie in Indien ist nicht sehr ermutigend. In Indien gibt rund zehnmal so viel Arme wie in China bei 100 Millionen weniger Bevölkerungszahl. Weniger als 10 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten. In Indien sind es über 40 Prozent. Da bin ich mir sicher, wo ich als Armer lieber wohnen würde. Man darf Demokratie nicht zu spät, aber auch nicht zu früh einführen. Denken Sie an die Weimarer Republik. Die Leute haben dem Parlament nicht vertraut und sich verunsichert in der Krise einen Führer gesucht, der das Land in den Abgrund geführt hat.

Wie sehr schadet China Europa?

Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Zeiten härter werden. Wir müssen es akzeptieren, dass China ein riesiger Wettbewerber ist. Wir können nicht auf dem Erreichten ausruhen. Wir müssen die Herausforderung annehmen und schauen, wo das chinesische Wachstum Chancen bietet. Ich denke dabei zum Beispiel den Tourismus.

Weil Chinas Jet-Set bald durch Europa reist wie seit einiger Zeit der russische?

Das wird so kommen. Die Mittelschicht, die sich jetzt mal drei Tage Urlaub in Thailand leistet fährt bei der nächsten Tour schon zehn Tage nach Europa. Vielleicht wird ja Deutschland ein riesiger Freizeitpark für die Chinesen, und wir können am Flughafen Frankfurt 300 Euro Eintritt verlangen. Denn wir haben was, was die nicht haben: Schöne Städte, grüne Wälder, saubere Flüsse. In China ist der Jangtse noch so schmutzig wie der Rhein in den Siebzigern.

Wie müssen wir zukünftig mit den Chinesen umgehen?

Wir sollten sie schleunigst ernst nehmen, statt mit dem Zeigefinger zu drohen. China ist kein zehnjähriges Kind mehr, das man maßregeln kann.

Ist China schon erwachsen?

Das noch nicht. Aber in jedem Fall schon in der Spätpubertät. Und da hilft nicht drohen, sondern überzeugen.

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