Chamäleon, niederbayerisches

Der 34-Jährige Lutz Pfannenstiel aus Zwiesel hält einen Weltrekord: Er war Profi auf sechs Kontinenten – 21 Vereine in 13 Ländern in 16 Jahren. Warum ein Torwart lieber auf sechs Kontinenten gespielt hat als beim FC Bayern.
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Weltrekordler Pfannenstiel hat auf sechs Kontinenten gespielt. Seinen niederbayrischen Dialekt hat er nicht verlernt.
dpa Weltrekordler Pfannenstiel hat auf sechs Kontinenten gespielt. Seinen niederbayrischen Dialekt hat er nicht verlernt.

Der 34-Jährige Lutz Pfannenstiel aus Zwiesel hält einen Weltrekord: Er war Profi auf sechs Kontinenten – 21 Vereine in 13 Ländern in 16 Jahren. Warum ein Torwart lieber auf sechs Kontinenten gespielt hat als beim FC Bayern.

AZ: Jetzt also Brasilien, Herr Pfannenstiel. Südamerika ist der sechste Kontinent, in dem Sie als Fußballprofi spielen. Das ist Weltrekord. Dabei hätten sie, als Sie 18 waren, einfach vom 1. FC Kötzting zu den Bayern-Amateuren wechseln können. Stattdessen tingelten Sie als Torwart in den folgenden 16 Jahren durch 21 Vereine in 13 Ländern. Kennen Sie Ihre Stationen noch?

LUTZ PFANNENSTIEL: Lassen Sie mich überlegen: Kötzting, wo war ich dann? Genau: Malaysia, England, Finnland, Singapur, Belgien, Malta, dann in Südafrika, wieder England, wo ich auf dem Platz wiederbelebt werden musste, und Finnland, bei Wacker Burghausen natürlich, wieder in Singapur – leider –, dann in Neuseeland, Norwegen, Kanada, Neuseeland, Albanien, als Trainer nach Armenien, wieder in Norwegen, tja, dann Kanada und jetzt Brasilien. Wissen Sie, ich fühle mich wie ein Chamäleon. Ich kann mich überall anpassen.

Sie hätten in Vancouver, Kanada, quasi einen Rentenvertrag unterschreiben können. Warum dann jetzt Brasilien?

Brasilien ist ein spezielles Land, wenn es um Fußball geht. Außerdem hatte ich fünf Kontinente durch und wollte den Weltrekord. Ich werde im Mai 35. Da kommt die Chance nicht mehr so oft. Diesen Traum wollte ich mir noch erfüllen.

Sie spielen in der Ersten Liga der Region St. Catarina, Ihr Klub heißt CA Hermann Aichinger. Hört sich sehr deutsch an.

Hier leben sehr viele Deutschstämmige, die Hälfte hat deutsche Namen. Dieser Aichinger war einer von denen, die gut betucht hierher gezogen sind. Er hat dem Klub Land zur Verfügung gestellt. Die Deutschen sagen: Wir gehen zu „Hermann Aichinger“, die Brasilianer gehen zu „Atletico Ibirama“.

Gewiss angenehmer als Singapur, oder? In der Saison 1999/2000 saßen Sie dort dreieinhalb Monate ein, in einer 15-Quadratmeter-Zelle ohne Bett und Toilette, nur mit einem Loch im Steinfußboden.

Oh je, Singapur, mein dunkler Schatten. Den nehme ich überall hin mit. In einem Café hatte mich jemand gefragt, ob wir denn gewinnen würden. Klar, was man als Fußballer antwortet. Dann bin ich angeklagt worden – wegen Spielmanipulation (das betroffene Spiel hatte sein Klub gewonnen).

Sie wurden auch verurteilt.

Die Verhandlung wurde unterbrochen. Auf dem Klo stand plötzlich der Staatsanwalt neben mir und sagte mir: „Wir wissen, dass Sie unschuldig sind. Aber wir müssen sie verurteilen, sonst verliert die Staatsanwaltschaft ihr Gesicht.“ Mein Leben wäre ganz anders verlaufen. Ich hätte gutes Geld in der Ersten Liga Griechenlands verdienen können. Singapur ist ein wohlhabendes Land, die Infrastruktur überragend. Nur wenn du Kaugummi kaust, kann es sein, dass sie den Kerker aufmachen. Ich hatte dort bei meiner ersten Station meine glücklichste, nachher dann meine schlimmste Zeit.

Was bedeutet für Sie Heimat?

Die richtige Heimat ist Zwiesel. Ich lasse es mir von niemandem nehmen, dort meine Eltern zwei Mal im Jahr zu besuchen. Dafür würde ich auch 180 Stunden mit dem Bus fahren. Dann habe ich sehr heimatliche Gefühle in Norwegen. Das ist mein zweites Zuhause. Ich muss in meinem ersten Leben Norweger gewesen sein, vielleicht ein König. Und dann ist da natürlich noch Neuseeland.

Wobei Neuseeland wenig mit Niederbayern zu tun hat.

Das ist das Land, das mich ins Leben zurückgeholt hat. Nach der Knastnummer. In Europa wurde mir kein Frieden gelassen. 50 Interviews am Tag, Talk-Shows – das wollte ich alles nicht. Sonst bin ich Nomade, die haben keine Heimat.

Wie steht es um Ihre Familie?

Ich habe eine Stieftochter von meiner jetzigen Frau, mit der ich seit eineinhalb Jahren verheiratet bin. Und ich habe eine Tochter in England.

Ihre Frau Amalia, eine Usbekin, die Sie in der Ukraine kennengelernt haben, macht Ihre Reisen um den Globus mit?

Natürlich ist der Aufwand groß, finanziell und logistisch. Aber sie sieht keine Probleme, fühlt sich hier in Brasilien wohl, auch wenn wir aus dem Koffer leben. Aber da sind wir eins.

Wo machen Sie dann Urlaub?

Urlaub ist, wenn ich in Zwiesel bin. Strandurlaub hab ich ja das ganze Jahr über.

Wie soll denn Ihre Karriere nach dem Fußball aussehen?

Ich bin selbstkritisch, kein Träumer. Bundesliga werde ich nicht mehr spielen. Dem Fußball will ich aber treu bleiben.

Was reizt einen wie Sie noch?

Viel. In Planung ist ein Exhibition-Game in Grönland, in der Antarktik und in Tibet. Dort will ich auf jeden Fall einmal im Tor stehen. Das wäre dann mein siebter Kontinent – auch wenn es den für viele ja gar nicht gibt.

Interview: Thorsten Klein

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