Busemann: "Leiden, bis es kein Leid mehr gibt"

Die Zehnkämpfer starten heute in den Wettbewerb. Frank Busemann, in Atlanta Silbermedaillengewinner, erklärt die Faszination – und verleiht Pascal Behrenbruch die „Jürgen-Hingsen-Gedächtnis-Medaille”.
Matthias Kerber |
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AZ: Herr Busemann, die Zehnkämpfer werden gerne als die „Könige der Athleten” bezeichnet, in London wird es für die Zehnkämpfer aber mehr als schwierig, Usain Bolt noch vom Athleten-Thron zu stürzen.

FRANK BUSEMANN: Physisch wären die meisten für so einen Schubser schon stark genug. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung kann da keiner gegen Bolt anstinken. Der ist in einer anderen Sphäre, für so eine Thronbesteigung bedarf es eben mehr als nur der reinen Leistung. Wenn es nur danach ginge, wären wir Zehnkämpfer immer ganz oben auf der sportlichen Nahrungskette, aber Bolt, der alte Yam-Wurzel-Esser, ist da nicht zu schlagen. Er ist anders, er ist echt und authentisch.

Dabei hat der Zehnkampf mit Weltrekordler Ashton Eaton einen neuen Superstar.

Ja, als es vor ein paar Jahren hieß, dass er der nächste 9000-Punkte-Athlet sein würde, habe ich immer leicht hüsteln müssen, denn der hatte mit Kugel, Diskus und Speer echt drei miese Disziplinen. Dafür waren die anderen sieben galaktisch. Jetzt sind immer noch sieben von einem anderen Stern, die anderen drei aber richtig gut.

Die Athleten heute sehen ganz anders aus als die Muskelberge von früher, Jürgen Hingsen etwa.

Ja, irgendwann hat man kapiert, dass der Erfolg über die Schnellkraft kommt. Das war ja der amerikanische Ansatz. Man muss neun tolle Disziplinen haben und die abschließenden 1500 Meter, die läuft man halt so mit. So langsam, dass sie jeder Rentner überholen würde. Jetzt gibt man sich da zumindest auch keine Blöße mehr.

Deutschlands Pascal Behrenbruch, immerhin Europameister, sieht da noch ganz anders aus.

Ja, der ist physisch mehr die Kategorie Jürgen-Hingsen-Gedächtnis-Medaille. Ich war bei dem lange Zeit zurückhaltend, weil mir bei ihm immer der letzte Punch gefehlt hat. Zehnkampf ist für mich eine Lebenseinstellung. Die hatte er lange nicht, aber bei der EM in Helsinki jetzt, als er ohne es zu müssen die 1500 Meter am Ende volle Pulle gelaufen ist, da wurde der Zehnkämpfer Behrenbruch für mich geboren. Er kann hier was reißen.

Erklären Sie mal diese Lebenseinstellung der Zehnkämpfer für uns Normalsterbliche.

Das ist für mich: Leiden, bis es kein Leid mehr gibt. Da hin zu gehen, wo es richtig weh tut – und noch nicht mal zu merken, wie weh es tut. Also eine Art Masochismus, der aber wieder keiner ist, weil man sich eigentlich weigert, den Schmerz zu akzeptieren. Immer volle Pulle zu geben, auch wenn es eigentlich keinen Sinn mehr macht.

Klingt ja fast wie Oliver Kahns „Weiter, immer weiter”, oder „Eier, wir brauchen Eier”.

Hallo, wir reden hier doch von Athleten, nicht von Torhütern. Einfach so 90 Minuten in der Gegend rumstehen und mal einen Ball fangen, das kann es doch nicht sein. Eigentlich wollte ich mich um Gotteswillen nicht mit dem Titan persönlich anlegen...

Wer ist für Sie denn der größte Zehnkämpfer aller Zeiten? Der Brite Daley Thompson, der in den 80er Jahren dominierte, hat verkündet, dass das nur er sein kann.

Wie heißt der Kerl? Daley wie? Spaß beiseite, er ist sicher ein großer Athlet, aber ich bin kein Freund seiner Psychospielchen.

Mit denen er etwa Jürgen Hingsen aus der Fassung und vom Goldkurs abgebracht hat.

Ja, für mich ist es keine Größe, zu einem Konkurrenten zu gehen und zu sagen: „Jürgen, was ist denn mit deinen Beinen los?” Und der dann irritiert ist und meint: „Was soll denn los sein?” Thompson meinte dann: „Entschuldigung, wenn es dir nicht aufgefallen ist, lass dich nicht stören.” Natürlich ließ er sich stören und dachte nur noch an die Beine. Das sind Spielchen, mit denen ich nichts anfangen kann. Da lob ich mir doch Dan O’Brien.

Den amerikanischen Ex-Weltrekordler.

Ja, als ich bei Olympia 1996 in Atlanta ja meinen ersten ganz großen internationalen Wettkampf machte, war ich voll nervös, ich dachte, die fressen mich auf. Und dann kam der beim Kugelstoßen, bei dem es bei mir nicht lief, zu mir und hat mir Tipps gegeben, was ich falsch mache. Und dabei lag ich 100 Punkte vor ihm. Aber er hatte die Größe mir zu helfen, obwohl es ihm geschadet hätte. Er steht für mich über Thompson, aber auch ein Roman Sebrle ist grandios, mein persönliches Idol ist Willi Holdorf, der hat gekämpft bis zum Zusammenbruch. Das sind meine Art Zehnkämpfer.

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